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Kommentar

Die Relativtheorie

Wir leben in einer Zeit der unendlichen Ambivalenz. Alles ist irgendwie relativ, alles beliebig auslegbar. Während der Klimawandel in der öffentliche Diskussion eine herausragende Rolle spielt, hat sich das tatsächliche Baugeschehen davon abgekoppelt. Unter der Vorgabe „bezahlbaren Wohnraum“ zu schaffen, wird Fläche ohne Ende für ergebnisoptimierte Investorenschachteln verbraten. An den Rändern von Dörfern und Städten entstehen weiterhin üppige EFH-Siedlungen, die keinerlei Auflage zu folgen scheinen. Vielmehr hat das Ausmaß an Sterilität und Abwaschbarkeit ein neues Niveau erreicht – weiße Villen, robotergepflegter Rasen und bestenfalls Kirschlorbeerhecken – der Rest ist in Anthrazit gehalten, oft inklusive der allfälligen Steinschüttungen oder Pflasterflächen; ein GAU für Kleinklima und lokale Artenvielfalt – vom Stadt- oder Ortsbild ganz zu schweigen. Im Wohnungsbau sehen wir als „nachhaltig“ angepriesene Wohnanlagen, die zwar Solarzellen auf dem Dach und Wärmepumpen vor der Tür haben, ansonsten aber nur durch riesige, mit billigsten Materialien versiegelte Infrastrukturflächen glänzen und lediglich im Glücksfall ein paar schlecht gepflegte Alibibäume aufweisen. Es scheint, als würde der öffentliche Diskurs an vielen Bauherren und -damen komplett vorbeirauschen; als würde er alle anderen, nur sie nicht betreffen.
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Barbara Sommer/ DEGA
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Stellt man die konkreten Projekte zur öffentlichen Diskussion, wie wir es in Social Media unter dem Hashtag #Freiraumdoktor (und in Zukunft auch #Freiraumärztin) immer wieder tun, fängt das große Relativieren an. Beginnend mit dem Argument, dass Wohnraum auch bezahlbar bleiben müsse (als sei Landschaftsarchitektur in erster Linie eine Geldfrage), über den Verweis, dass Freiflächengestaltung eine Geschmacksfrage sei (nein, ist sie aus ökologischer und klimatologischer Sicht nicht!), bis zu der Forderung, dass die Gestaltung von Privatgrund auch Privatsache bleiben müsse (echt? Darf ich da auch Öl auskippen – oder, wo ist die berühmte rote Linie?) reicht die Kritik an der Kritik.Und natürlich müssen sich Entscheider- und Entscheiderinnen auf allen Ebenen mit diesen Argumenten herumschlagen; wenn sie sich in den Medien, vor der Öffentlichkeit oder in den kommunalen Gremien erklären müssen. In einer Zeit der kurzen Aufmerksamkeitsspannen, wirken die Simplifizierungen da wesentlich besser als die Erklärungen komplexer Sachverhalte. „Bezahlbar“, „Geschmacksache“ und „Eigentumsrecht“ bleiben im Raum stehen, während der Rest im Alltagstrubel untergeht. Es ist ein ähnlicher Mechanismus, wie ihn populistische Parteien für ihre Zwecke nutzen. Man wiederholt Dinge so lange, bis irgendetwas hängen bleibt – egal wie absurd die Behauptung ist. Die Vereinfachung bleibt im öffentlichen Raum stehen, die Differenzierung geht unter.

Nein, es ist keine Geschmackssache, wenn es darum geht, ob wir weiter Fläche in dieser Form vergeuden und ich fürchte, wir müssen deutlicher werden und den Totschlag-Argumenten prägnantere Äquivalente entgegensetzen. Wir brauchen klare Festsetzungen für die Ausweisung neuer Bebauung und wir brauchen eine effiziente und glaubwürdige Kontrolle der Auflagen in Kombination mit knackigen Konventionalstrafen für deren Missachtung. Und es braucht Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung.

Offensichtlich muss man Bauwilligen mittlerweile schon erklären, dass es keinen Spaß macht, im Sommer auf einer schwarzen Terrasse, vor schwarzen Steinen und hinter schwarzem Stabmattenzaun auf dem Präsentierteller zu sitzen. Die Vorstellungskraft, sich selbst simpelste Zusammenhänge zu erschließen und in Beziehung zum eigenen Leben zu setzen, scheint zunehmend zu schwinden. Selbst der tägliche Schwarm an Katastrophennachrichten führt kaum zu Verhaltensänderungen. Schon deshalb braucht es Prägnanz und Redundanz.

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