
Designerin, Entwicklerin, Gründerin: mutige Macherin
Bei der Entwicklung ihrer Produkte legt Susanne Mossal-Wagner gerne selbst Hand an. Deshalb arbeitet sie regelmäßig in der Produktion mit und experimentiert mit neuen Materialien. Das gehört für sie als Gründerin dazu: Seit 2023 ist sie eine der wenigen Frauen, die ein eigenes Unternehmen aufbauen.
von Dr. Juliane von Hagen erschienen am 16.10.2024Viele Jahre arbeitete Susanne Mossal-Wagner als studierte Produktdesignerin in der Entwicklung von Outdoor-Fitnessgeräten mit. Während des Corona-Stillstands kam sie zum Nachdenken: Sie reflektierte über ihre bisherigen Tätigkeiten und ihre persönlichen Qualitäten. Gleichzeitig kam eine neue Wertschätzung für den öffentlichen Stadtraum auf, Nutzungsgewohnheiten änderten sich und bis dato unbekannte Ideen wurden populär. So „überlebten zum Beispiel während der Pandemie nur die Fitness-Studios, die schnell reagiert haben“, erinnert sich die Designerin. Diejenigen, die kurz entschlossen ihre Geräte nach draußen stellten, durften geöffnet bleiben. „Der Faktor Zeit war auch in meiner vorherigen Laufbahn zentral. Wenn ich früher für eine Kommune startete, einen Fitnessparcours zu planen, dauerte das vom ersten Gespräch bis zur Umsetzung durchschnittlich anderthalb bis zwei Jahre. Das fand ich schon immer viel zu lang“, erinnert sich Mossal-Wagner.
Flexibilität und Geschwindigkeit
Die Flexibilität der Fitnessstudios, der Ansatz, etwas schnell irgendwo platzieren zu können, gefiel ihr. Darüber hinaus inspirierten sie in der Corona-Zeit erprobte, temporäre Nutzungen wie bei Parklets. Traurig fand Susanne Mossal-Wagner nur, dass sich „alle auf das Sitzen beschränken, das Konsumieren von Getränken und die Raumqualitäten meist nur mäßig waren, zumindest in Deutschland“. In südlichen Ländern beobachtete sie viel kreativere Lösungen: Verkehrsknotenpunkte, die grafisch und künstlerisch umgestaltet waren, ergänzt durch Sitzgelegenheiten, Angebote zum Spielen oder für Sport“, führt sie fort. Genau da setzt ihre Geschäftsidee an: Sie entwarf und entwickelte eine Art Stadtterrasse, die schnell, kostensparend und flexibel ist. Diese sogenannten Flexdex haben immer einen Mehrwert. „Es geht immer um die vier B’s: Begegnung, Bewegung, Begrünung und Bildung“, erklärt die Designerin und Unternehmensgründerin.
1Flexible Decks als Antwort
Flexdex sind terrassenähnliche Plattformen, für die es einen Baukasten mit Modulen gibt. Derzeit existieren drei Grundformen: das Quadrat, das Kreissegment und das Hexagon. Auf die jeweilige Plattform lassen sich Objekte oder Geräte anordnen, die eines der vier B’s unterstützen. Wird ein Flexdex zum Beispiel mit Trainingsgeräten ausgestattet, dient es der Gesundheitsfürsorge oder der Prävention, wie im Fall des Mobility Circle. Das sogenannte Parkourdex ist eine parkoursinspirierte, niedrigschwellige Bewegungslandschaft. Und wenn gar nichts auf die Grundfläche montiert wird, lädt das Flexdex zu Yoga, Pilates oder Bodenworkouts ein.
Experimente mit Kork
Auf der Suche nach geeigneten Materialien für diese Decks stieß sie auf Kork. „In das Material habe ich mich verliebt. Es kommt aus Europa, ist nachhaltig, und temperaturausgleichend. Es hat alle meine Anforderungen an einen guten Bodenbelag erfüllt“, schwärmt sie. Und um aus Kork auch Polster und Sitzauflagen herstellen zu können, hat sie ein Herstellungsverfahren entwickelt. Bisher kam Kork in Formteilen nur im Innenbereich zum Einsatz. Susanne Mossal-Wagner experimentierte so lange mit Trennmitteln und unterschiedlichen Bindemittelmengen, bis sie Korkformteile herstellen konnte, die licht- und UV-beständig sind. Wie für einen Fallschutzboden bringt sie zunächst eine grobe und darüber eine Schicht mit feiner Körnung auf. „De-ren Elastizität ähnelt der einer Gymnastikmatte und ist auch ideal zum Sitzen“, erklärt Mossal-Wagner. Demnächst bereichern also Stadtmöbel mit Sitzflächen aus Kork öffentliche Räume.

Autark und flexibel
Allen Flexdex ist gemein, dass sie autark sind. „Sie müssen nicht im Boden verankert werden und sind sogar auf denkmalgeschützten Flächen oder Pflastern aufstellbar“, erklärt die Unternehmerin. Deshalb kommen sie zum Beispiel in Bonn-Beuel zum Einsatz. „Der Einsatz der Flexdex hat der Stadt erstmalig ermöglicht, auf einem denkmalgeschützten Kopfsteinpflaster etwas zu positionieren, ohne den Untergrund zu verletzen“, beschreibt Mossal-Wagner den Auftrag. Darüber hinaus sind ihre Stadtterrassen jederzeit erweiterbar oder flexibel verschiebbar. „Damit können Fehlplanungen vermieden werden. Oft stellt sich nach einer Zeit heraus, man hat den falschen Standort gewählt. Da Flexdex mobil sind, wird vermieden, dass ungenutzte Angebote irgendwo zurückbleiben“, ergänzt sie mit Blick auf ihre langjährige Erfahrung im Umgang mit Outdoor-Fitnessanlagen. Die Stadt Hannover nutzt ihre Decks nur saisonal. Sie stellt sie im Sommer nach draußen und lagert sie im Winter ein. Andere denkbare Standorte sind Dachflächen, Terrassen oder Tiefgaragendeckel. „Damit erschließe ich neue Areale, manchmal auch nur als Zwischennutzung bis eine Neuentwicklung startet“, erklärt die Gründerin.
Ergänzung vertikales Grün
Lange suchte Mossal-Wagner nach einer Möglichkeit, ihre Decks mit grünen Elementen auch vertikal einzufassen. „Ich bin immer wieder über Fassadenbegrünung gestolpert. Das muss doch möglich sein, das zu implementieren“, grübelte sie. Mittlerweile hat sie einen Landschaftsgärtner gefunden, der ein eigenes und bezahlbares System entwickelte und nun beidseitig begrünte Wandmodule herstellt. Damit entsteht eine Art grünes Zimmer, ein geschützter und beschatteter Raum. Je nach Exposition kommen großblättrige Farne zum Einsatz, oder ein Nutz- und Naschgarten, der Beeren und Kräuter bietet, oder in der Sonne blühen insektenfreundliche Wiesenpflanzen.
2Der Weg zum eigenen Unternehmen
Hört man Susanne Mossal-Wagner zu, spürt man ihre Begeisterung und Leidenschaft. Bei der Entwicklung ihrer Produkte überrascht es nicht, dass sie die Gründung eines eigenen Unternehmens wagte. Dennoch beschreibt sie den Weg als nicht ganz einfach. „Als ich im Januar 2023 gründete, lag über ein halbes Jahr Vorarbeit hinter mir. Ich hatte Produkte entwickelt, am Markt recherchiert, einen Businessplan erstellt und überlegt, woher ich Geld für die Unternehmensgründung bekomme“, erklärt sie. „Eigentlich hadere ich noch immer ein bisschen mit der Idee, Unternehmerin zu sein. Andererseits war ich nie die klassische Angestellte. Wenn ich etwas gut finde, arbeite ich mit so viel Elan daran, wie es nur ein Unternehmer tun“, erklärt Mossal-Wagner. Deshalb rieten ihr auch viele, etwas Eigenes aufzubauen. Schließlich wagte sie den Schritt: „Ich habe mich mit vielen ausgetauscht und immer wieder zu hören bekommen: mach’ doch. Bis dato hatte ich es mir nicht zugetraut“, reflektiert sie. „Die eigentliche Hürde war ich selbst“, fügt sie an. Und damit ist sie nicht allein.
Frauen gründen anders
„Frauen sind anders. Sie gründen anders, sie prüfen immer alles dreimal, hinterfragen alles und sich, sind selbstkritisch“, sagt Mossal-Wagner. Erst als sie den Mut hatte auszusprechen, was sie nicht kann, wobei sie Hilfe benötigt, bekam sie hilfreiche Vorschläge: „Wenn du einen Buchhalter brauchst, beauftragst du einen Steuerberater. Wenn du keine 3D-Visualisierungen machen kannst, engagierst du einen Profi dafür“, hörte sie. Schließlich bekam sie auf einem kostenfreien Existenzgründer-Seminar bei der IHK entscheidende Impulse: Hinweise auf Förderprogramme, Informationsquellen und „vor allem habe ich viele andere Menschen getroffen, die zunächst ähnlich ratlos waren wie ich selbst“, erzählt sie. Über das Gründerstipendium NRW bekam sie schließlich ein Jahr finanzielle Unterstützung, nachdem ihr Projekt und Person unter die Lupe genommen worden waren. „Das war wichtig: nicht nur meine Idee wurde geprüft, sondern auch meine Persönlichkeit. Und als mir die Stipendiums-Jury zutraute, dass ich das schaffe, habe ich es mir endlich auch selbst zugetraut“, sagt sie schmunzelnd.
Wunsch nach Mentorin
Obwohl das Gründungstipendium eine wichtige Stütze war, wäre es hilfreich gewesen, eine Mentorin zu haben: „Eine, die weiß, was zu tun ist, wenn Zweifel kommen. Leider kam ich nicht in den Genuss. „Aber heute bin ich selbst Mentorin“, fügt sie an. Darüber hinaus pflegt sie ein gutes Netzwerk. „Für mich ist es wichtig, Austausch zu haben, um sich selbst reflektieren zu können.“ Denn der Weg in eine gewinnbringende Phase ist für Neugründungen lang. Nicht selten werde sie gefragt, wann sie endlich Geld verdiene. Heute kontert sie selbstbewusst: „Darum geht es derzeit noch gar nicht. Ich muss eine Produktpalette aufbauen, ein neuartiges Produktsegment etablieren, Vertriebspartner finden. Das dauert zwei bis fünf Jahre.“ Bei solchen Fragen tut gut, wenn andere ihr bestätigen, wie viel sie bereits geschafft hat.
Im Blaumann in der Werkstatt
Seltsame Sprüche sind für Susanne Mossal-Wagner nichts Neues. Schon früher ist sie an Grenzen gestoßen, wenn Konstrukteure einen Entwurf derart umwandelten, dass sie nicht einverstanden war. Wenn sie zu hören bekam, dass etwas nicht geht, entgegnete sie, dass sie es schon selbst erprobt hätte. Ihr Fachwissen in der Produktionstechnik ermöglichte ihr, alternative Lösungen zu finden. Durch ihre Erfahrungen ist sie davon überzeugt, dass Frauen mehr können müssen. Das hat sie schon während ihres männerdominierten Studiums gemerkt. Dennoch stellt sie sich weiterhin dieser Männerwelt: „Ich fahre regelmäßig in die Eifel und arbeite an der Entwicklung meiner Produkte mit. Eigentlich ist das für mich produzierende Unternehmen ein Dienstleister, der vorwiegend für große Firmen arbeitet“, sagt sie. Einer der Geschäftsführer war jedoch von ihren Flexdex so fasziniert, dass er zusagte, diese zu produzieren.
Die Weiterentwicklung geht jedoch nicht ohne die Designerin selbst: Da sie das Verfahren zur Herstellung der Korkoberflächen eigenhändig entwickelt hat, und sich das rechtlich sichern will, steht sie nach wie vor regelmäßig im Blaumann in der Werkstatt. „Ich weiß, wie es geht, da macht mir keiner etwas vor“, sagt sie selbstbewusst. Genau dieses Selbstbewusstsein wünscht sie vielen anderen Frauen, die überlegen, ein eigenes Unternehmen aufzubauen. „Noch gründen in Deutschland weniger Frauen als Männer; oft jedoch nachhaltiger und erfolgreicher“, sagt Susanne Mossal-Wagner. Sie gehört mittlerweile zu den Vorbildern, die zum Nachahmen animieren.
Dies beleuchtet die Studie „Female Entrepreneurship – Mobilisierung von Gründerinnen ist wirtschaftliche Chance und gesellschaftliche Aufgabe“ von KfW Research: 1. Weniger weibliche Gründungen Im Durchschnitt der Jahre 2017–2021 gingen nur 39 % der Existenzgründungen von Frauen aus. 2. Frauen und Männer gründen unterschiedlich Frauen gründen häufiger im Nebenerwerb, seltener im Gründungsteam und auch seltener mit Mitarbeitenden. Die Gründungen erfolgen öfter im Dienstleistungsbereich mit Endkundenfokus und seltener mit Wachstumswunsch. 3. Traditionelle familiäre Arbeitsteilung als Gründungsbarriere Frauen übernehmen mehr häusliche Arbeit und haben deshalb eine geringere Erwerbsbeteiligung und Gründungsneigung. 4. Risikopräferenz als Faktor für Gründungen Die Forschung zeigt, dass Risikopräferenzen die Gründungsneigung beeinflussen. Mädchen werden in der Regel risikoaverser erzogen. 5. Finanzwissen ist entscheidend für den Gründungserfolg Frauen weisen in verschiedenen Studien ein im Durchschnitt geringeres Finanzwissen auf als Männer. Dieses trägt aber stärker zur Überlebenswahrscheinlichkeit von Existenzgründungen bei als das allgemeine berufliche Bildungsniveau. 6. Gender Funding Gap Frauengeführte Start-ups erhalten im Durchschnitt seltener und wenn, dann weniger Venture-Capital. Frauen haben somit schlechtere Chancen, ihre Start-ups zu finanzieren und aus ihnen erfolgreiche, skalierbare Geschäftsmodelle zu machen. 7. Weibliche Rollenvorbilder Sichtbare, erfolgreiche Frauen im Start-up-Ökosystem dienen als Vorbild. In dieser Rolle können sie zur Stärkung des Netzwerks für Gründerinnen beitragen oder als Mentorinnen fungieren.
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