
Farbig und flexibel den öffentlichen Raum besitzen
Wie oft sucht man vergeblich eine passende Sitzgelegenheit am richtigen Platz. Mal fehlt der Schatten, mal die schöne Aussicht und im Gastgarten ist Konsumieren Pflicht. Mit Zuko, einem Verleihservice für mobile Klappstühle, lässt sich der öffentliche Raum ganz individuell bespielen.
von Katja Richter erschienen am 17.02.2025„Die Architektur bietet den Rahmen, die Bühne, Zuko stellt die Requisiten zur Verfügung,“ erklärt Erik Czejka. Der Jungunternehmer aus Wien hat einen stylischen Schrank entwickelt, in dessen Fächern hinter einer Glasscheibe bunte Klappstühle lagern. Per App lässt sich eine benötigte Menge davon freischalten, nach eigenem Gusto platzieren und nach Gebrauch wieder wegschließen. Sich mit anderen treffen, Zeit miteinander oder einem Hobby verbringen, den Stadtraum nutzen ist die Idee des kostenlosen Stuhlverleihs. Zuko – das steht für Zusammenkommen.
Reclaim the streets
Über die Arbeit an einem Landschaftsarchitekturmagazin lernte der diplomierte Ingenieur Czejka die Freiraumplanung näher kennen und schätzen: „Ich finde die Landschaftsarchitektur sehr sympathisch, weil sie immer mehrere Nutzungsgruppen anspricht. Für mich gibt die Architektur den Menschen Werkzeuge an die Hand, um ihren eigenen Lebensraum zu gestalten. Das kann ein Haus, ein Stadtviertel oder eben ein Stadtmöbel sein.“ Diese Raumaneignung sei die DNA von Zuko: „Nehmt diesen Stuhl und eignet euch die Stadt an – reclaim the streets!“
Stark geprägt hat Czejka seine Zeit als Student in Peking: „Wie Chinesen und Chinesinnen den öffentlichen Raum nutzen, davon träumen die europäischen Planenden!“ Nicht nur die Garküchen und Friseurstühle, auch gemeinsames Tanzen und Singen, Sporttraining oder für sich alleine Kalligrafie üben ist dort auf Straßen und Plätzen ganz selbstverständlich.

Der Klappstuhl ist eine sehr einfache Idee, „keine große Erfindung“, aber genau das macht den Charme aus: ein niederschwelliges Angebot, in dem sehr viele Themen mitschwingen. „Sitzen im öffentlichen Raum ist ein riesiges Thema, sehr politisch auch. Das war mir zu Anfang nicht bewusst“, sagt der Oberösterreicher: „Wer bestimmt, wer wo in der Stadt sitzen darf? Welche Orte sind erlaubt? Muss man dafür bezahlen, sprich etwas konsumieren? Dann das große Thema Lärm, die Nachtruhe. Will man überhaupt, dass sich Menschen hier hinsetzen?“ Sehr oft werde erst mal gefragt: „Dürfen wir das überhaupt?“
Stadtplanerisch ist es einfacher, alles anzuschrauben. Die freie Wahl des Sitzplatzes ermöglicht es den Menschen jedoch, sich dort hinzusetzen, wo es auch angenehm für sie ist. Im Schatten oder in der Sonne, je nach Uhr- oder Jahreszeit. In einer ruhigen Zone oder mit Aussicht auf trubelige Straßenszenen, alleine oder mit Freunden, ganz nach Laune.
Auf den Stuhl gekommen
Der Impuls entstand, wie so oft, während der Pandemie mit ihren Lockdowns. Ausgehen war nicht erlaubt, Abstand Pflicht und die Menschen sehnten sich nach Gesellschaft. Ein auf Corona bezogener Wettbewerb der Wirtschaftsagentur Wien, einem Wirtschaftsförderungsfonds der Stadt, prämierte die „Grätzlsitze“-Idee von Erik Czejka: Jede Person, die sich im Quartier – in Österreich „Grätzl“ – hinsetzen möchte, kann sich einen oder mehrere Stühle ausleihen und bringt diese am Ende wieder zurück. Der „Creatives for Vienna“-Preis sorgte für den notwendigen Push, weiterzumachen.

„Von der Lokalen Agenda 21, einer Förderung für BürgerInnenbeteiligungsprozesse in Wien, haben wir ein kleines Budget von 250 € bekommen. Da haben wir Secondhand-stühle gekauft und bunt lackiert, um ein bisschen Farbe in die Stadt zu bringen.“ Der Service eröffnete mitten im zweiten Lockdown. Das Marktlokal Obsthunger am St. Elisabeth Platz im Innenstadtbezirk Wieden stellte den Platz für die Unterbringung und den Service zur Verfügung. „Du bist ins Lokal reingegangen, hast die Stühle mit rausgenommen und dich drauf gesetzt“, erinnert sich Czejka gerne. Die Aktion ging in der nachrichtenhungrigen Zeit medial durch die Decke: „Wir waren in jeder größeren Zeitung in Österreich, sogar in den Lokalnachrichten des ORF.“
In vielen Feedbackschleifen aus dem Freundeskreis entstand step by step die Zuko-Variante mit abgesperrtem Schrank und einer professionellen App wie bei einer Paketstation.
Einfach mehr Aufenthaltsqualität schaffen
Auch in Wien ist die Diskussion um den ruhenden Verkehr ein Thema. „Warum fragen wir immer, was mit den Autos passiert? Warum fragen wir nicht, was wir Menschen in unseren Stadtteilen wirklich wollen? Finden wir es alle okay, dass einer einzigen Person 10 m² für 50 Cent am Tag als Parkplatz zur Verfügung stehen?“ Czejka will mehr aus den Straßen machen. Um zu erleben, was es zu gewinnen gibt, fordert er zum Ausprobieren auf. Dafür könnte die Stadtplanung bewusst Flächen zur Verfügung stellen und den Anwohnenden die Möglichkeiten geben, auch mal etwas zu testen, das nicht zu einhundert Prozent alle Normen und Richtlinien erfüllt.
Im Gegensatz zur fest installierten Parkbank sind die Zuko-Stühle – oder, wie sie die Erfinder gerne nennen: „die Parkbank 2.0“ – flexibel, passen sich ihren Nutzenden an und ergänzen die fixe Stadtmöblierung. Besonders und gerade Orte, die für temporäre Nutzungen wie Wochenmarkt oder Open-Air-Veranstaltungen nicht blockiert sein dürfen, bietet sich das Stuhlsystem ideal an. Die passenden Öffnungszeiten für den Stuhlverleih lassen sich auf die App aufspielen. Auch nächtliche Ruhestörungen ließen sich damit vermeiden.
„Das ist genau das, was wir in der Stadtplanung zukünftig brauchen“, ist Czejka sicher. „Der Platz wird immer enger und muss immer mehr Funktionen aufnehmen, da braucht es neben den platzierten Bänken diese flexiblen Lösungen.“ Für ihn könnten die mobilen Stühle zum Game-Changer werden, wie die vielen Ansprüche koexistieren könnten. Das Angebot ist bewusst kostenfrei gedacht und dadurch für alle Nutzergruppen gleichermaßen zugänglich.
Die Nutzungsstatistik gibt ihm bislang recht: die Zahlen sind steigend, durchschnittlich werden die Stühle 40 Minuten genutzt. Auch eine Geburtstagsfeier und Haareschneiden fand schon darauf statt.
1Über die Stadtgrenzen hinaus
Was in Parks wie dem Pariser Jardin du Luxembourg schon seit Jahrzehnten üblich ist, probieren immer mehr Städte aus. Auf dem Domplatz in Münster erfreuen seit zwei Jahren 80 gelbe Stühle im Frühling und Sommer die Besucher und Besucherinnen. Morgens um 10 Uhr stellen städtische Angestellte die individuellen Sitzgelegenheiten auf und räumen sie abends um 20 Uhr wieder weg. Mittwochs und samstags reagiert das Bestuhlen auf den Wochenmarkt und beginnt erst um 16 Uhr.
Die Stadt Prag stellt Privatpersonen seit 2016 in den Sommermonaten einen schwarzen Bistrotisch plus Gartenstühlen, verziert mit einem roten Hauptstadt-Logo, für den öffentlichen Raum zur Verfügung. Erklärtes Ziel: die verwaisten Lücken im urbanen Gefüge zu beleben. Seit Beginn der Aktion „Prag Stühle & Tische“ (Pražské židle & stolky) ist der Bestand von 300 auf etwa 2.000 Stück angewachsen, aufgestellt an über 120 Orten in der touristisch beliebten Stadt. Ein Kleinstprojekt mit großer Wirkung und einem jährlichen Budget von rund 2 Millionen Euro.
Beides ist sehr kosten- und personalintensiv. „Eigentlich könnte man einfach Stühle in eine ehemalige Telefonzelle stellen“, findet Czejka. In der Praxis bedarf es dann doch eines gewissen Rahmens und etwas Kontrolle. Ein weiterer Vorteil der unabhängigen Schrankbox: Die Möbelstücke sind geschützt vor Witterung und werden nicht so schnell dreckig.
Für welche Orte die Leihstühle geeignet sind, wird sich zeigen. „Am Hauptbahnhof würde ich sie vielleicht erstmal nicht sehen“, räumt Czejka bei aller Liebe zur Selbstbestimmung ein. Dabei hat er selbst nie erlebt, dass seit Beginn des Grätzlsitz-Projekts auch nur ein Stuhl verschwunden ist. Und selbst wenn: „Es sind einfache Klappstühle aus Holz, wir sind kein Rolex-Laden.“ Trotzdem setzt die App auf ein Communitybuilding mit bewusst persönlicher Ansprache der User.

Erste Stuhl-Box in Iserlohn
Die westfälische Stadt Iserlohn hat die erste Zuko-Box in Deutschland am Fritz-Kühn-Platz, einer innerstädtischen Grünanlage nicht weit vom Bahnhof, aufgestellt. Im Rahmen des Bundesförderungsprogramms „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ will die Verwaltung den öffentlichen Raum bedarfsgerechter gestalten, der Standort wurde per Bürgerbeteiligung ausgewählt.
Ganz zufällig entstand auf der Polis-Convention 2024 in Düsseldorf der erste Kontakt zum österreichischen Hersteller und seiner cleveren Innovation. Damit war für die Stadtverwaltung das Problem des fehlenden Lagerplatzes und Personals zum Auf- und Wegstellen des Mobiliars, wie in Münster, gelöst. „Der Schrank nimmt kaum Platz weg, es braucht keinen Stromanschluss und im Bedarfsfall – zum Beispiel bei Veranstaltungen – können wir ihn einfach an anderer Stelle im Stadtgebiet aufstellen“, freut sich Sebastian Matz, Leiter der Abteilung für Stadtentwicklung und Grundstücke, über den Neuzugang im Stadtgebiet. Ilka Triglone, die zuständige Sachbearbeiterin, ergänzt und lobt „den unkomplizierten Austausch und technischen Support des Herstellers“.
Allen Unkenrufen mit den bekannten Vorbehalten bezüglich Vandalismus und Diebstahl zum Trotz, wird die neue Sitzgelegenheit gut angenommen und bislang gut behandelt. Ob sich dadurch auch andere Nutzergruppen dauerhaft im idyllischen Park einfinden, wird sich zeigen.
Mobiles Wohnzimmer
„Unser Ziel ist es, den Stadtraum in ein mobiles Wohnzimmer zu verwandeln“, blickt Erik Czejka in die Zukunft. Zuko fungiert dabei als Infrastrukturpunkt, als Hub. Außer mit Stühlen lassen sich die knapp einen Quadratmeter großen Schränke auch mit Spielgeräten oder Urban-gardening-Utensilien bestücken. Die App ist neben deutsch auch auf Englisch programmiert und somit offen für den deutschen und angelsächsischen Raum. Wie bei einem Stadtmöbelhersteller lässt sich die einfach zerlegbare Station inklusive Stühlen bestellen und erwerben, wahlweise gibt es ein Servicepaket mit Updates und Rücknahmeoption, persönlichem Logo oder Dachbegrünung obendrauf. „Wir sind ein urbanes Produkt“, unterstreicht der Gründer: „Die Stühle sollen öffentlich zugänglich sein und den Stadtraum aktivieren.“
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