Wiesen – aber ordentlich
Bürger und Politik fordern mehr Blühwiesen, diese sind aber nicht das ganze Jahr ansehnlich. Für mehr Akzeptanz braucht es ein kluges Pflegekonzept. Der Autor erläutert seine praktischen Feldversuche.
von Jonas Reif erschienen am 09.10.2024Ein häufiges Argument von Blühwiesen-Gegnern ist die vermeintliche Gefährdung der Verkehrssicherheit. Abgesehen davon, dass dies wohl nur in seltensten Fällen einer Prüfung standhalten würde, stört die Ablehner oft etwas anderes: Die empfundene Ungepflegtheit wird als Verwahrlosung wahrgenommen und kündet vom baldigen Abstieg eines „guten“ Wohnviertels. Man könnte derartige Befürchtungen ignorieren, sie einfach mit deutscher Sauberkeits-Penetranz abtun. Doch wer wirklich nachhaltige Veränderung bewirken will, sollte diese Kritik nicht unbeachtet lassen und stattdessen für eine breitere Akzeptanz sorgen. Schon mit wenig Anpassung lässt sich viel erreichen:
Standortwahl ist relevant
Die Standortwahl ist in mehrfacher Hinsicht relevant. Einerseits sollte der angedachte Platz für die gewünschte Vegetationsform (angestrebte Wuchshöhe und Artenzusammensetzung) passend sein. Auch die Flächenproportionen müssen stimmig sein, wobei vor allem zu kleine Flächen irritieren („Wurde hier vergessen zu mähen?“). Aber auch sehr große Flächen können problematisch sein, wenn diese durch querende Trampelpfade visuell in Mitleidenschaft gezogen werden. Hier sind mehrere Teilflächen zielführender, die gewohnte Wegebeziehung aussparen. Ohnehin sollten bestehende regelmäßige Nutzungen unbedingt berücksichtigt werden – dazu gehören Versorgungs- und Pflegewege bis hin zu Großwahlplakate, die regelmäßig auf Grünflächen platziert werden. Ebenso sollte man auf Provokationen verzichten, also keine Wiesen und Blühstreifen direkt vor pedantisch gepflegten Vorgärten – auch wenn dies ein reizvoller Kontrast wäre.
Kommunikation mit allen
Guerilla-Gardening ist für dauerhafte Wiesenflächen denkbar ungeeignet. Stattdessen sollten hier alle Protagonisten frühzeitig „ins Boot“ geholt werden. Auf kommunaler Ebene bedeutet dies, nicht nur die Verwaltung involvieren, sondern auch die ausführende Abteilung (Bauhof oder das mit der Grünflächenpflege beauftragte Unternehmen). Auch wenn von Bürgern und Politikern oft schon sehr konkrete Vorstellungen hinsichtlich Aussehen, Pflege und vor allem der Wahl der Fläche bestehen, empfiehlt es sich, hier offen in eine Diskussion einzusteigen. Nicht selten sind es bestehende Pflegeverträge, typische Arbeitszeitspitzen und die vorhandene Kommunaltechnik, die hier Anpassungen erfordern. Bereits vor der Anlage braucht es Hinweisschilder an der betreffenden Fläche, die die Maßnahme erläutern. Vor allem bei mehrjährigen Wiesen, die eine längere Entwicklungszeit haben, müssen die Schilder auch entsprechend langlebig sein. Darüber hinaus empfehlen sich auch alle anderen ortsüblichen Informationskanäle, von gezielten Anwohnerinformationen mittels Postwurfsendung über Social-Media-Aktivitäten bis hin zur klassischen Pressemitteilung. Bei größeren Maßnahmen eignen sich im Vorfeld auch Einwohnerversammlungen.
Passepartout-Schnitt
Wohl eine der einfachsten und zugleich wirkungsvollsten Methoden ist der Passepartout-artige „Ordnungsschnitt“, der je nach Witterung alle 2 bis 4 Wochen in der Vegetationsperiode erfolgt. Der sich daraus ergebende Rasen bildet nicht nur aus gestalterischen Gesichtspunkten einen wünschenswerten Kontrast, sondern vermittelt gegenüber allen Bevölkerungsgruppen eine klare Absicht der Wiesenfläche. Die Breite des Rahmens sollte in Abhängigkeit der Flächengröße und der zur Verfügung stehenden Technik des Pflegebetriebs gewählt werden. Meist wird man sich für eine einfache bis doppelte Aufsitzmäherbreite entscheiden.

Durch die Gestaltung des Wiesenrandes wird dabei eine von außen oder oben (bei Betrachtung von einer erhöhten Position, beispielsweise aus einem Gebäude) erkennbare Form erzeugt. Dies kann eine geometrische Figur, ein Symbol oder ein gar aus Einzelbuchstaben gebildeter Schriftzug sein. Die Symbole sollten allerdings nicht zu kleinteilig sein; ebenso sollte man bei Buchstaben aus pflegetechnischen Gründen auf innenliegende „Inseln“ verzichten – oder diese zumindest auf ein Minimum reduzieren. Statt Aufsitzmäher eignen sich hier Akku-Rasenmäher.
Muster-Schnitt
Wiesen müssen meist zwischen Juni und September einmal, teilweise sogar zweimal gemäht werden. Dauerhafte Blüh-Flächen bis zum Ende der Vegetationsperiode ohne Schnitt zu belassen, erscheint nur auf sehr trockenen oder nährstoffarmen Standorten eine Option zu sein. Wiesen auf frischeren und vor allem nährstoffreichen Standorten werden häufig ab Juli unansehnlich und sollten dann zurückgeschnitten werden. Die Mahdgut-Entfernung wirkt der Nährstoffanreicherung und -rückführung entgegen. Um Insekten, bodenbrütenden Vögeln und anderen Tieren nicht unnötig stark zu schaden, empfiehlt sich ein partieller, zeitlich versetzter Rückschnitt. Zudem sehen die Flächen nach der Mahd unansehnlich aus – auch hier ist ein Schnittregime von Vorteil, das visuelle Aspekte berücksichtigt. Relativ unkompliziert sind versetzte Linien: Am wirkungsvollsten sind sie, wenn sie diagonal zu den Außenrändern durchgeführt werden. Zu den ebenfalls noch praktikableren Mustern gehören parallele Bögen, Radien- oder Spiralschnitte. Wenn ein Rückschnitt nicht nur an zwei, sondern drei Terminen durchgeführt werden kann, ist der Schachbrettmuster-Schnitt besonders wirkungsvoll, also ein um 90° versetztes Mähen.
1Blühaspekt-Folgen statt Gräser-Monotonie
Einen Rasen einfach zu einer Wiese aufwachsen zu lassen, führt in der Regel zu keinem befriedigenden Ergebnis, weder für Mensch noch die Tiere – zu dominant sind die Rasengräser! Sofern Saatgutmischungen als Grundlage für urbane Wiesen dienen, sollte der Gräser-Anteil möglichst gering bleiben. Ebenso sollten möglichst viele verschiedene zweikeimblättrige Blütenpflanzen enthalten sein. Dies erhöht nicht nur die Chance auf vielfältige, zeitlich versetzte Blühaspekte, sondern minimiert auch das Ausfall-Risiko bei Fokussierung auf einzelne Zielarten. In vielen Dauer-Mischungen sind zudem einige schnell entwickelnde Arten enthalten, die bereits im Ansaatjahr für erste Farbtupfer sorgen, mittelfristig aber wieder verschwinden werden.
Eine „Vergrasung“ der Fläche stellt eine wachsende Gefahr für die Blütenschmuckwirkung dar. Die alleinige Mahdgut-Entfernung ist in der Regel nicht ausreichend, um konkurrenzstarken Gräsern dauerhaft entgegenzuwirken. Durchaus erfolgreich ist hingegen die Ansiedlung von Halbschmarotzern wie Klappertopf (Rhinanthus sp.) oder Wachtelweizen (Melampyrum sp.), die Gräser effektiv schwächen. Ein in größeren Abständen durchgeführtes Aufreißen der obersten Bodenschicht oder gar ein Plaggen (flächiges Entfernen der obersten humusreichen Schicht) fördert die Artenvielfalt, ist jedoch arbeitsintensiv und kann die folgende Wiesenpflege erschweren.
Da in Wiesen die ersten Blühaspekte oft erst im Mai zu erwarten sind, können Ergänzungen mit Blumenzwiebeln zur Akzeptanzsteigerung beitragen. Für nährstoffreiche, frische bis feuchte Wiesen bieten sich vor allem robuste Narzissen wie ‘Golden Harvest‘, ‘Dutch Master‘ oder ‘Jetfire‘ an. Für basisch-nährstoffreiche, allerdings im Sommer trockene Flächen sind Weinberg-Tulpen (Tulipa sylvestris) eine bessere Alternative. Im Herbst äußert attraktiv, aber angesichts ihrer Giftigkeit nicht überall zu empfehlen, sind Herbstzeitlose (Colchichum autumnale), die in nährstoffreichen zweischürigen oder sehr spät gemähten einschürigen Wiesen für unerwartete Farbeffekte sorgen.
Spätherbstrückschnitt
Aus naturschutzfachlicher Sicht spricht viel dafür, Wiesen erst im Frühjahr zurückzuschneiden, da in den oberflächlich abgestorbenen Stängeln zahlreiche Insekten überwintern. Dies findet allerdings nur bei wenigen Anwohnern Zuspruch. Auch die meisten Pflegegärtner plädieren für einen Rückschnitt vor dem Wintereinbruch. Als Begründung wird eine erschwerte Mahd im Frühjahr angeführt, weil Pflanzenteile aufgrund der Schneelast flach auf dem Boden liegen oder „matschig“ geworden sind. Ein wie im Sommer durchgeführter Musterschnitt oder partieller Rückschnitt ist hier keine echte Alternative. Somit bleibt nur der komplette Rückschnitt. Wird dieser Ende Oktober bis Anfang November durchgeführt, zeigen sich die Flächen in der Regel bis März ausreichend einheitlich grün. Damit sind dann auch die meisten Gemüter besänftigt.
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