
Enkeltaugliches Spielen anstatt Parken
Die Bilanzierung des durch eine Baumaßnahme erzeugten Kohlendioxids (CO2) ist in der Landschaftsarchitektur neu, Datensätze liegen kaum vor. Für den Nordpark-Nordhausen hat das Büro Linnea erstmals ein Klimatool entwickelt und mit viel Altmaterial eine überraschende Einsparquote berechnet.
von Katja Richter erschienen am 13.06.2025„Wir hatten im Entwurf sehr klare Vorgaben der NutzerInnen“, berichtet Sonja Griebenow, Büroleiterin von Linnea Landschaftsarchitektur aus Hannover. Fast 400 Jugendliche beteiligten sich an der Onlineumfrage für die Umgestaltung einer großen Brach- und Parkplatzfläche zu einem generationenübergreifenden Freiraum am Rande einer Plattenbausiedlung im Rahmen der IBA Thüringen und wünschten sich explizit einen wetterfesten Unterstand. Da kam die alte Bushaltestelle wie gerufen. „Wir haben zuerst geguckt, was finden wir vor Ort oder auf dem Bauhof, um die Wünsche umzusetzen und haben das dann in unseren Entwurf einfließen lassen.“ Neben der originellen Überdachung kam es so auch zum „Graffiti-Spot“, einer alten Litfaßsäule mit schwungvoller Haube: „Unsere gestalterische Vorgabe war, die Eingänge zum Platz zu betonen. Als wir die Säule dann auf dem städtischen Bauhof gefunden hatten, war schnell klar: dann nehmen wir die für den oberen Eingang.“ Die Landschaftsarchitektin beschreibt die Arbeit mit gebrauchtem Material als Wechselspiel: „Wir haben bis zum Schluss reagiert.“
Die Umnutzung der Parkplatzflächen zu einem multifunktionalen und barrierefreien Park mit Spielanlage richtet sich besonders an die Altersgruppe ab zehn Jahren, für die es im Quartier bislang nur wenig Spiel- und Bewegungsangebote gab. Eine naturnah bepflanzte Steinböschung aus dem örtlich gewonnenen Betonbruch rahmt den Raum ein, Fünftklässler einer nahen Regelschule pflanzen einen Tiny Forest mit klimaresilienten Bäumen. Zwischen drei modellierten Hügeln liegt die zentrale Rollspielfläche für Bewegungsspiele aller Arten. Auf unterschiedlich gestalteten Belägen bieten eine Calisthenics-Anlage, Balancierbalken, Hängematten oder ein Kletterblock unterschiedliche Bewegungssituationen an. Ein Trampolin ist barrierefrei vom Hauptweg nutzbar und ergänzt das inklusive Angebot des Rollspielfelds. Die Riesenschaukel, ebenfalls ein Wunschprojekt aus der Onlineumfrage, ermöglicht Ausblicke in die Landschaft des Südharzes.

Wechselspiel zwischen Idee und Materialbestand
Ursprünglich für die Sitzstufen in der Böschung vorgesehene Granitborde vom Bauhof tauschten die Planerinnen im letzten Moment gegen schwere Rinnensteine aus, die während der Baumaßnahme im Boden entdeckt wurden. Während des Baus flexibel und kreativ zu reagieren, sieht Sonja Griebenow als Hauptaufgabe beim Bauen mit Altmaterial. Unvorhergesehenes passiert deutlich öfter, als man es sonst von Baustellen gewöhnt ist.
„Wir müssen die Gratwanderung schaffen zwischen ressourcensparender Wiederverwendung und guter Gestaltung. Natürlich ist es einfacher, mit neuen Materialien zu planen, aber das können wir uns einfach nicht mehr leisten.“ Sonja Griebenow
So fiel die Bushaltestelle beim Ausbau auseinander und ließ sich nur noch teilweise verwenden, das eingeplante gebrauchte Betonpflaster rechts und links der Rollspielfläche war beim Abholtermin plötzlich nicht mehr in ausreichender Menge vorhanden. Nachbestellungen sind bei Recyclingmaterial schwierig und so liegt das Pflaster jetzt nur einseitig. Richtig gut funktionieren in Nordhausen die Balancierbalken aus alten Mastleuchten, für einige ältere Anwohner auch nostalgische Relikte aus früheren DDR-Zeiten. Die Identifikation mit historischen, ortsbezogenen Elementen funktioniert also auch beim Re-Use.
1„Man muss gestalterisch flexibel sein und eine gute Balance finden zwischen eigenem Anspruch und ökologischem Gewissen. Wir hätten uns für das Pflaster auch eine andere Farbe gut vorstellen können, dann aber entschieden, das zu nehmen, was da ist, weil es einfach Ressourcen spart.“ Ein sehr persönlicher Konflikt, der nicht nur für die gestaltenden Berufe gilt und uns auch als Gesellschaft immer öfter herausfordern wird, wollen wir die Umwelt auch für kommende Generationen weiter lebenswert erhalten.
Ein innovativer und nachhaltiger Planungsansatz war bereits im Ausschreibungsverfahren gefordert. Linnea bewarb sich mit dem Ansatz, so viel Material wie möglich wiederzuverwenden und bekam damit den Zuschlag. Während der Ausführungsphase galt es immer wieder zu entscheiden, was lässt sich in den Entwurf integrieren und was passt nicht mehr zu dem, was ursprünglich gestalterisch geplant war. Ganz klar abgewiesen haben die Planerinnen Dinge, die keinen Nutzen hatten: „Der Spielplatz ist ja kein Sammellager für irgendwelche Materialien.“ Für Linnea ist das Bauen mit Altmaterial nichts komplett Neues. Schon seit mindestens 20 Jahren nutzt das Team am Ort vorhandene Elemente als Gestaltungsmittel, wenn auch weniger aus ökologischen Gründen. So waren die Hannoveranerinnen schon im Vorfeld geübt, im Bau flexibel zu bleiben und zu reagieren, wenn sich unerwartete Möglichkeiten bieten. Wer gröber plant und weniger Schreibtischarbeit in später überflüssige Details steckt, hat auf der Baustelle mehr Zeit.
2Enormes Einsparpotenzial
Überraschend dagegen war für Griebenow, die CO2-Bilanz der Baumaßnahme. Mit zusätzlichen Mitteln aus der IBA Thüringen entwickelte das Büro ein eigenes Klimatool, um das Globale Erwärmungspotenzial (GWP) in kg CO2-Äquivalent (kg CO2e, also die Menge aller entstehenden Treibhausgase) während der Herstellungsphase A1 bis A3 gemäß Umweltproduktdeklaration (= Rohstoffbereitstellung, Herstellung, Transport und Produktion) zu erfassen. Die konsequente Wiederverwendung von Altmaterial reduzierte die Emissionen der Baumaterialien am Ende um mehr als 30 %. Trotzdem lagen die Gesamtemissionen bei rund 47 t CO2e. Ganz schön viel für eine eigentlich per se klimabewusste und umweltaffine Branche. Besonders hoch war die Fehleinschätzung und Abweichung bei den Transportemissionen. So lag der tatsächliche Verbrauch an Kraftstoff deutlich höher als zuvor geschätzt. Dabei machten in diesem Fall die Transport- und Anfahrtswege zur Baustelle 40 bis 50 % des Gesamt-Treibstoffverbrauchs aus.
„Wir müssen davon wegkommen, uns immer nur auf die ganzen Normen und rechtlichen Vorgaben zurückzuziehen. Sonja Griebenow
Zur CO2-Berechnung von befestigten Flächen liegen bereits gute Datengrundlagen vor. Datensätze für Ausstattungselemente sind hingegen Mangelware. Kein Wunder, findet Griebenow, hört doch die staatliche Förderung für CO2-reduziertes Bauen an der Gebäudeaußenkante auf. „Da wünsche ich mir politisch mehr.“
Linnea nutzt das Klimatool seitdem bei der täglichen Arbeit, zum Beispiel um verschiedene Bauweisen wie etwa dynamische Deckschicht, Naturstein oder Betonsteinpflaster miteinander zu vergleichen und so Einsparungspotenziale auszumachen. Außerdem hilft die Bilanzierung, die Auftraggeber von mehr Re-Use zu überzeugen.
Unternehmerisches Risiko
Für die ausführenden Unternehmen ist das Bauen mit Altmaterial Neuland, das mit Risiko einhergehen kann. Schon die Böschung aus Betonbruch in den Randbereichen des Spielparks war für die Landschaftsbauer nur schwer zu kalkulieren. Ein weiteres Problem ist die Frage der Gewährleistung. „So lange Zertifikate für Gebrauchtmaterial fehlen, bedarf es eines Auftragnehmers mit gesundem Menschenverstand, der die Entscheidung mitgeht, das Material für einen bestimmten Zweck einzubauen“, sagt die Landschaftsarchitektin: „Beim Nordpark haben sich alle das Material angeschaut und zum Beispiel nach einem Lastplattendruckverfahren entschieden, damit zu arbeiten.“ Weder Planerinnen noch ausführende Firmen haben die Gewährleistung abgelehnt. „Wir müssen davon wegkommen, uns immer nur auf die ganzen Normen und rechtlichen Vorgaben zurückzuziehen. Sonst funktionieren solche Baumaßnahmen nicht.“ Zukünftig müssten dafür rechtliche Grundlagen geschaffen werden.

Wirtschaftlich liegen Re-Use-Projekte für Planende und Ausführende immer noch über den üblichen Kosten. Die Planung ist aufwendiger wegen der vielen Sonderbauweisen bei weniger Standardlösungen, dazu kommen unvorhersehbare Umplanungen. Obwohl die Sichtungsgänge auf dem Bauhof und Extrapauschalen für die Materialbegutachtung in Nordhausen von Beginn an mit eingepreist waren, hat das Büro nach Aussage der Büroleitung „draufgelegt“. Auch hier bedarf es Lösungen, damit sich klimafreundliche, ressourcenschonende Baumaßnahmen etablieren können. Für Sonja Griebenow bliebt es ein Spagat: „Wir müssen die Gratwanderung schaffen zwischen ressourcensparender Wiederverwendung und guter Gestaltung. Natürlich ist es einfacher, mit neuen Materialien zu planen, aber das können wir uns einfach nicht mehr leisten.“
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