
Den Wasserhaushalt neu organisieren
Wie bekommt man alle Schwammstadt-Beteiligten an einen Tisch? Die Berliner Regenwasseragentur, eine Initiative der Berliner Wasserbetriebe und der Berliner Senatsumweltverwaltung, ist zu einer nachgefragten Institution geworden und unterstützt Privatpersonen wie professionelle Planungsrunden.
von Katja Richter erschienen am 13.12.2024Obwohl die Stadt mit ihren rund 3,8 Mio. Einwohnenden von viel Wasser geprägt ist, wird die allgemeine Wassersituation Berlins in den heißen Sommermonaten immer wieder kritisch. Kommt es dann zu den mittlerweile üblichen Wolkenbrüchen, stehen schnell ganze Straßenzüge unter Wasser. Gemeinsam mit den Berliner Wasserbetrieben (BWB) erhielt der Berliner Senat daher schon 2017 den Auftrag, eine Institution zur schnelleren Umsetzung der Schwammstadt-Prinzipien in der Großstadt aufzubauen. Im Mai 2018 unterzeichneten die damalige Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (heute: Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt) und die BWB dann die Gründungsvereinbarung der Berliner Regenwasseragentur. Deren erklärtes Ziel war und ist, den Gewässerschutz zu stärken, die Kanalisation der Metropole zu entlasten und die Regenwasserbewirtschaftung zu dezentralisieren und so an die Folgen der Klimaerwärmung anzupassen.
Beratung für ganz Berlin
Finanziert wird die Agentur für den neuen Umgang mit Regenwasser komplett über öffentliche Gelder, sie muss also keine Gewinne erwirtschaften. Alle Serviceangebote wie Beratung, Informationsvermittlung, Öffentlichkeitsarbeit und Weiterbildung sind kostenlos. Auch wenn die Regenwasseragentur bei den BWB angesiedelt ist und deren Infrastruktur nutzt, ist sie fachlich losgelöst. „Unsere neutrale Rolle ist uns sehr wichtig und wir haben in der Anfangszeit viel Arbeit hineingesteckt, nicht mit der BWB gleichgesetzt zu werden“, betont Katharina Auffarth, die aus der Landschaftsarchitektur kommt. Das macht die Expertise der neun Regenwasseragentinnen und -agenten strategisch so wertvoll: Die Unabhängigkeit schafft Vertrauen und erleichtert die Moderation zwischen den einzelnen Stakeholdern.
Die Ziele der beratenden Fachleute seien die dezentrale Regenwasserbewirtschaftung und die mögliche Annäherung an den natürlichen Wasserhaushalt in der Stadt: „Wir sehen uns als zentrale Beratungsstelle zum Thema Regenwasser und stehen allen im Stadtgebiet gleichermaßen zur Verfügung.“ Über die „Sprechstunde Regen“ kommt mittlerweile ein sehr breites Spektrum an Anfragen herein. Da sind Eigenheimbesitzer mit konkreten Anliegen zur Regenwassernutzung auf dem eigenen Grundstück und Kleingartenparzellen, die ein Problem mit zu viel Niederschlag haben. Planungsbüros oder Auftraggeber suchen Unterstützung bei konkreten Bauvorhaben oder Quartiersentwicklungen in ganz unterschiedlichen Planungsphasen, aber auch die einzelnen Bezirksämter und die Senatsverwaltungen fragen an.
„Manchmal begleiten wir ein Projekt über einen längeren Zeitraum, von anderen dagegen hört man nach einem Termin gar nichts mehr. Wir gehen dann davon aus, dass sich das Problem erledigt hat“, berichtet Louis Kott, einer der Regenwasseragenten mit umwelttechnischem Hintergrund. Wie seine Kollegin kam er vor einem Jahr zur Agentur. Man spürt, wie beide für das Thema brennen, im Laufe des Gesprächs sprudeln die Meilensteine und zukünftigen Ideen nur so aus ihnen heraus.

Das Team um die bisherige Leiterin Darla Nickel und ihre Vertreterin bis zur Neubesetzung Grit Diesing ist breit aufgestellt und die Projektbearbeitung entsprechend flexibel. Der selbst gestellte Anspruch ist, innerhalb einer Woche zur Beratung bereitzustehen. Wer genau die Bearbeitung übernimmt, entscheiden die Kapazitäten und die Fachrichtungen. Bei der Begleitung von Vorhaben arbeiten möglichst immer zwei Personen gemeinsam, das unterstützt in komplizierten Sachverhalten und es geht kein Wissen verloren. Vorteilhaft ist auch die unterschiedliche Sichtweise, je nach beruflichem Profil des Teams. Neben Landschaftsarchitektur und technischem Umweltschutz wird auch Stadtplanung, Geografie, urbane Infrastrukturplanung und nicht zuletzt Kommunikation abgedeckt. Genau die Vielfalt, die es bei der Umwandlung zur „Schwammhauptstadt“ braucht.
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„Auch wenn es noch viel Unsicherheit und Unwissenheit gibt - eigentlich sind doch alle begeistert vom Thema.“ Darla Nickel, ehemalige Leiterin Regenwasseragentur
Vernetzte Schwammintelligenz
Für größere Projekte, wie dem neuen Quartier „Siemensstadt Square“ im Westen der Stadt, wurde die „Fachgruppe Regen“ ins Leben gerufen. Hier versammeln sich alle Planer, Investoren und Bezirksverantwortlichen an einem Tisch, um sehr themenspezifisch anstehende Probleme zu besprechen: „Das war bisher sehr zielführend und fruchtbar, weil es immer wieder Sachen anschiebt und auch Diskussionen mit allen Projektbeteiligten an konkreten Schnittstellen ermöglicht“, schildert Katharina Auffarth die positiven Erfahrungen.
Um den partizipativen Prozess noch weiter zu unterstützen, ist der „digitale Planungstisch“ entstanden. Der brandneue Prototyp mit der Größe eines normalen Bürotisches verfügt über eine beleuchtete Multitouch-Oberfläche. Darauf lassen sich per Finger die gewünschten Daten aufrufen, hin- und herschieben und skalieren. Hinterlegt sind sämtliche frei verfügbaren Daten zum Berliner Stadtgebiet wie GIS, Wasserkarten aus dem FIS-Broker mit Bohrdaten oder Grundwasserständen sowie die Dokumente, die für ein Bauvorhaben vorliegen. Erfahrungsgemäß reiche es nicht, den Verlauf herumzureichen und jede Person arbeitet im eigenen Büro ihren Aufgabenbereich ab: „Kommunikation ist das A und O.“ Am Tisch lassen sich auch gemeinsam Ziele definieren, spielerisch Lösungen ausprobieren und bewerten. Noch läuft die Testphase und im Haus freut man sich über jeden Anlass, mit dem sich das neuartige Werkzeug weiter verfeinern und verbessern lässt. Im Vorführmodus funktioniert der Tisch einwandfrei und lässt sich sehr intuitiv bedienen.
„Vorbildhafte Beispiele sind immer ein Türöffner für neue Methoden und Bauweisen.“ Katharina Auffarth, Louis Kott
Während bei Neubaumaßnahmen wie den Buckower Feldern oder dem prämierten Quartier 52° Nord die blau-grüne Infrastruktur bereits gut etabliert ist, klemmt es im Bestand aus den bekannten Gründen: Dichte Bebauung, hoher Versiegelungsgrad und Nutzungskonkurrenz machen die Transformation nach wie vor schwierig. Auf Privatgrundstücken sind Förderprogramme oder Einsparmöglichkeiten bei der Niederschlagswassergebühr die Ansätze der Wahl. Einen Überblick verschafft die Webseite der Regenwasseragentur oder gleich ein Beratungsgespräch. Für die Verwaltung erfordert es oft viel Mut und Engagement, Neues auszuprobieren. Hier hilft die Regenwasseragentur mit Vernetzungsangeboten zwischen den einzelnen Berliner Bezirken, die in ihren Quartieren, Straßen oder Plätzen jeweils eigene Entscheidungen treffen. Je nach Personalie und Situation entstehen innovative oder niedrigschwellige Maßnahmen, die sich nicht automatisch in der ganzen Stadt herumsprechen. Im Arbeitsalltag kommt der Austausch manchmal zu kurz und die Regenwasseragentur bietet mit Veranstaltungen wie dem „Forum Regenwasser“ oder Wettbewerben wie „Regenial!“ Angebote für Austausch und Inspiration.
„Vorbildhafte Beispiele sind immer ein Türöffner für neue Methoden und Bauweisen“, stimmen Auffarth und Kott überein. Hat ein Bezirk erstmals alle Hürden überwunden und kreative Lösungen für ein Problem entwickelt, ziehen andere leichter nach oder lassen sich zu eigenen Varianten inspirieren. Agenturleiterin Darla Nickel spricht im Podcast „Let’s talk landscape“ vom sehr großen Willen zur Umgestaltung auf allen Ebenen und ist sicher: „Auch wenn es noch viel Unsicherheit und Unwissenheit gibt – eigentlich sind doch alle begeistert vom Thema.“
Ablesen kann man den persönlichen Eindruck an der kontinuierlichen Zunahme der Beratungsfragen und daran, dass die Regenwasseragentur nun schon seit sechs Jahren, statt der ursprünglich geplanten zwei, existiert, sowie den letzten politischen Wechsel in Berlin ohne Einbußen überstanden hat.
Grundstücksübergreifend denken – GüL
Neben einer verbesserten Kommunikation zwischen den zuständigen Ämtern sehen nicht nur die Akteure der Regenwasseragentur viel Potenzial in der mehrwertstiftenden Regenwasserbewirtschaftung. Ist beispielsweise die Niederschlagsversickerung auf dem eigenen Grundstück aufgrund von Platzmangel, schlecht versickerungsfähigen Böden oder Altlasten schwer möglich, die öffentliche Grünfläche oder der Friedhof nebenan könnte aber das Wasser gut gebrauchen, wird ein kooperatives Handeln über die Grundstücksgrenzen hinweg zur Win-win-Situation.
2Zu den GüL, den Grundstücksübergreifenden Lösungen, liegt bereits eine Studie der Senatsumweltverwaltung vor, die sich mit den auftretenden Fragen zu Finanzierung, Planung, Betrieb und vertraglichen Regelungen auseinandersetzt. Neben technischen Lösungen finden sich hier auch Musterverträge für Sonderlösungen, übergeordnete Empfehlungen zur gesamtstädtischen Strategie oder Vorschläge, wie sich Regelblätter im Sinne der GüL überarbeiten lassen. Ein dezidiertes Prozessablaufschema mit Zielsetzungen führt die notwendigen Schritte in den einzelnen Umsetzungsphasen auf. Erste praktische Erfahrungen sammelt die Agentur aktuell im „GüL-Pilotprojekt Preußenpark“. Sie begleitet zehn Projektbeteiligte, vom Immobilienverwalter und Bezirksamt über Landschaftsarchitekturbüros bis hin zu verschiedenen Ingenieuren und einer Anwaltskanzlei. Gemeinsam erarbeiten sie eine Lösung, wie sich das anfallende Regenwasser der Dachflächen für die Bewässerung der öffentlichen Grünfläche nutzen lässt.
Mit Fokus auf den Bestand hat die Regenwasseragentur mit dem Planungsbüro „Gruppe F Freiraum für alle“ eine GIS-basierte Methode entwickelt, mit der sich die Abkopplungspotenziale am Beispiel von zwei Berliner Stadtteilen ermittelt lassen. Im nächsten Schritt will die Agentur die Methodik auf ganz Berlin übertragen. Das Angebot der Regenwasseragentur beschränkt sich auf das Berliner Stadtgebiet. „Wir sind aber zum Erfahrungsaustausch bundesweit und punktuell auch außerhalb der Landesgrenzen aktiv“, sagt Auffarth. Bundesweit sind auch weitere Regenagenturen aktiv: die RISA-Leitstelle in Hamburg, die Regenagentur Duisburg und die Zukunftsinitiative Klima.Werk im Emscher-Lippe-Kreis beschäftigen sich auf eine ähnliche Weise mit den Transformationsprozessen. Die auf der Webseite vorgestellten Pilotprojekte sind auch auf andere Kommunen übertragbar und frei verfügbar als Inspirationsquellen oder Argumentationshilfen.
- Berliner Regenwasseragentur
- Gründung: 2018
- Sitz: Neue Jüdenstr. 2, 10179 Berlin
- Leitung: Grit Diesing
- Anzahl Mitarbeitende: 9
- Funktion: Plattform, um auf kommunikativen Wegen für das dezentrale Regenwassermanagement zu werben und zwischen Akteuren zu vermitteln.
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