
Regenwasser nach Bedarf verteilen
Alle anfallenden Niederschläge auf dem eigenen Grundstück zu versickern, ist manchmal gar nicht so leicht. Eine Studie aus Berlin zeigt, wie Regenwasser auch auf Nachbargrundstücken genutzt werden könnte.
von Katja Richter erschienen am 15.10.2025Auf dem einen Grundstück fällt zu viel Oberflächenwasser an, während beim Nachbarn Regenwasser zur Bewässerung der Grünflächen fehlt. Oder das Fallrohr an einer Gebäudefassade endet über dem öffentlichen Gehweg und muss in den Untergrund abgeleitet werden, während der Straßenbaum gegenüber unter Trockenheit leidet. Die aktuellen Regularien geben vor, dass Niederschläge auf dem eigenen Grundstück versickert werden müssen. Grenzüberschreitende Lösungen (GüL) wären eine Bereicherung für das dezentrale Regenwassermanagement, scheitern aber regelmäßig an der rechtlichen Lage. Eine ungünstige Situation, die neu gedacht werden muss, um Klimawandelfolgen wie Trockenheit und Wasserfluten zu meistern. Die Berliner Senatsverwaltung hat daher eine Studie in Auftrag gegeben, unter welchen Voraussetzungen sich das Gemeingut Regenwasser abzweigen und verteilen lässt.
Berlin gibt Studie in Auftrag
Ziel der Studie war eine technische und rechtliche Grundlagenermittlung, die in eine praktisch nutzbare Anwendungshilfe führt. Dabei erlebte die Senatsverwaltung ein breites Interesse aus der Fachöffentlichkeit und beteiligte diese gerne an der praxisorientierten Lösungsfindung. Die GüL scheint ein signifikanter Baustein zu sein für das übergeordnete Ziel der Stadtentwicklung hin zur Schwammstadt. Die Studie empfiehlt daher Hindernisse für die Umsetzung rechtzeitig zu erkennen und zu beseitigen. Wesentliche Stellschrauben sind dabei klare Zuständigkeiten und Entscheidungskompetenzen bei allen Stakeholdern, sowie die Einbindung einer Projektkoordination zur Handhabung der Komplexität von GüL-Projekten.
Die Untersuchung bearbeitet beispielhaft fünf der gängigsten städtebaulichen Szenarien: Im Grundsatz handelt es sich dabei um Regenwasser von Gebäudedächern, das in öffentliches, ein anderes privates Grün oder Stadtgewässer abgeleitet werden soll und um Niederschläge, die in Tanks gesammelt und dann verteilt werden. Bei der Nutzung von Kanalwasser ist der Verschmutzungsgrad ausschlaggebend und damit die benötigten Filteranlagen. Für jede der fünf Situationen gibt es Untersituationen, die beispielsweise auf mögliche Versickerungsanlagen, die notwendigen hydrogeologischen Voraussetzungen, die einzubeziehenden Behörden oder die grundlegenden technischen und rechtlichen Regelungen eingehen. Bereits umgesetzte oder in Planung befindliche Praxisbeispiele werden zur Veranschaulichung vorgestellt.
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„Es liegt ein sehr hohes Potenzial an grundstücksübergreifender Bewirtschaftung vor, das auch sehr einfach zu erschließen wäre.“ Dr. Jakob Sohrt, Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt
„Es liegt ein sehr hohes Potenzial an grundstücksübergreifender Bewirtschaftung vor, das auch sehr einfach zu erschließen wäre“, stellt Jakob Sohrt vom Integrativen Umweltschutz der Senatsverwaltung Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt fest. Beispielsweise habe der Bezirk Charlottenburg bei einer Potenzialanalyse viele öffentliche Gebäude ausgemacht, die an eine öffentliche Grünanlage grenzen, aber durch eine Straße davon getrennt sind: „Da hört es ohne eine grundstücksübergreifende Lösung schon sofort auf.“ Mit einer rechtlichen und baulich einfachen Lösung ließe sich hier schnell viel abkoppeln. Auch skalierbare Lösungen, die in gleicher oder ähnlicher Weise mehrfach vorkommen, wie das eingangs genannte Frontfallrohr, könnten verhältnismäßig leicht umgesetzt werden.
Testlauf im Preußenpark
Um zügig in die Umsetzung zu kommen, gilt es, Gelegenheitsfenster zu erkennen und beherzt zu nutzen. Für einen ersten Testlauf bot sich der zirka 55.000 m² große Preußenpark in Berlin-Wilmersdorf an. Auf einem angrenzenden Grundstück an der Württembergischen Straße saniert die Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) drei Bundesimmobilien mit rund 10.000 m² Dachfläche. Der Umbau des Hauptgebäudes befand sich schon in Bauphase 8 und die große Herausforderung bestand auch darin, im laufenden Bauablauf das Regenwassermanagement anzupassen.
2Die Planung sieht nun eine Regenwasserzisterne für die BIM-eigene Nutzung und eine Retentionszisterne für die Übergabe an den Park vor. Per Druckrohrleitung wird das anfallende Wasser unter den Sparten in der Württembergischen Straße in eine Nutzungszisterne mit Überlaufrigole im Park gepumpt.
Grit Staack, Projektverantwortliche von Seiten der BIM ist die Auftaktveranstaltung noch in guter Erinnerung, bei der sich alle Beteiligten von Geber- und Nehmerfläche persönlich kennenlernten: „Das hat das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien spürbar gestärkt und man hört immer wieder von Geber- und Nehmerseite den unbedingten Willen, das Pilotprojekt gemeinsam zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.“ Ob die Motivation nun in der verminderten Abwassergebühr für die Liegenschaften der BIM lag oder alle froh sind, Trinkwasser für die Bewässerung der Grünflächen zu sparen, sei dabei unerheblich. „Wir haben aber sehr schnell gemerkt, dass es eine Vermittlerrolle geben muss, die beide Seiten kollegial berät. Das Thema ist einfach zu komplex“, merkt Staack an.
Für die fachliche Betreuung kam Oikotec hinzu, ein Berliner Ingenieursbüro, das auf Regenwasserversickerung spezialisiert ist. Die Berliner Regenwasseragentur übernahm die Prozessberatung. Die rechtlichen Aspekte der grundstücksübergreifenden Bewirtschaftung sowie das Ausarbeiten von Musterverträgen und Vereinbarungen begleiteten Juristen von SKW Schwarz.
Wer die Leitungen langfristig unterhält, ist noch nicht abschließend geklärt. Um zügig weiterbauen zu können, hat sich die BIM bereit erklärt, bis 2026 zu übernehmen. Finanziert werden soll die Maßnahme voraussichtlich aus dem Berliner Förderprogramm für Nachhaltige Entwicklung (BENE2).
Erfolgsfaktoren nutzen
Die Erfolgsfaktoren für die Zusammenarbeit zwischen Bezirk beziehungsweise Kommune mit einem privaten Stakeholder sind nun in einem Prozessablaufschema zusammengefasst. Auch Sven Hänichen von Oikotec betont, wie wichtig es sei, alle Beteiligten von Anfang an gut mitzunehmen. Für ihn ist die Vorbereitungsphase 0 die schwierigste Bauphase, das Team ist noch nicht so vertraut miteinander, die Finanzierung vielleicht noch unsicher.
Hier werden aber die Weichen gestellt: „Wenn man nicht alle Fragen zu Anfang klärt, merkt man im Laufe des Prozesses, dass man irgendwann nicht weiterkommt.“ Für die Studie hat sein Büro daher eine Art Checkliste mit den relevanten Fragen zusammengestellt: „Diese kann man systematisch abarbeiten und kontrollieren, ob man über alles gesprochen hat.“ So lässt sich vermeiden, dass ein vergessener Punkt im Laufe der Maßnahme zu viel Unsicherheit aufbaut und plötzlich den ganzen Ablauf blockiert.
3Nach dem Motto „Kleinvieh macht auch Mist“ lassen sich Lösungen für Alltagssituationen erfolgreich skalieren. Eine ganz normale Wassertonne steht vor einem Wohnblock: Auf den ersten Blick banal erscheint die Wassertanke in der Berliner Fritschestraße. Aber auch das Sammeln von privatem Dachwasser auf einem städtischen Gehsteig zählt als Grenzüberschreitung. Einige engagierte Anwohnerinnen und Anwohner wollten sich damit nicht abfinden und arbeiteten mit dem Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf an einer GüL. Jetzt zapft wer Lust hat an der Tanke Gießwasser für die umliegenden Straßenbäume und Pflanzbeete. Alleine in Berlin stehen seit 2022 fünf neue Wassertanken, Tendenz steigend. Die Idee schlägt bundesweit Wellen und auch Münster, Dortmund und Potsdam richten Wasserspeicher ein.
4Technisch kein Problem
Für die technische Umsetzung ist es irrelevant, ob das Wasser sich von einem Besitzverhältnis auf ein anderes bewegt. Damit ist die Palette an Produkten und erprobten Bauweisen praktischerweise bereits vorhanden. Wie immer liegt auch bei den GüLs die Tücke im Detail und muss beim jeweiligen Projekt individuell überlegt und vereinbart werden. Während Dachwasser direkt in den Boden oder urbane Gewässer geleitet werden kann, muss bei Oberflächenwasser aus dem Straßenraum geklärt werden, ob es eine Filterung braucht.
Regenereignisse unterscheiden sich in der Art des Schauers, entsprechend variieren die Gefahren: Ist es ein kurzer, starker Regen, fällt die Wassermenge zuerst auf der Geberseite an und kann dort eventuell Überflutungen hervorrufen. Ein langer Wolkenbruch verursacht dagegen auf der Nehmerseite Überschuss. Das schlägt sich dann auch in den vertraglichen Regelungen und Vereinbarungen nieder. Mehr als in anderen Projekten üblich, müssen Wartung, Zugänglichkeit und Betrieb der Anlage über die gesamte Lebenszeit klar geregelt sein.
Ist ein Projekt erfolgreich zu Ende geführt, empfiehlt das Prozessschema ausdrücklich: Feiern und Veröffentlichen! Nur dann erfahren andere davon und können die neuen Leitlinien aufnehmen, um zügig Richtung Schwammstadt zu steuern. Interessant sind die erarbeiteten Leitlinien auch für alle Besitzer einer Immobilie im Bestand. Wer auch ohne eigene Grünfläche Teil der Schwammstadt werden möchte, hat jetzt die Gelegenheit, einmal über den Grundstücksrand zu schauen, ob sich nicht in der Nachbarschaft eine Grünfläche, eine Baumreihe oder gar ein wasserbedürftiger Pfuhl befindet. Der erste Schritt ist, die Kooperationspartner auf der anderen Seite ausfindig zu machen und das Gespräch zu suchen.


















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