
Traut unseren Kindern mehr zu
Eine entscheidende Kompetenz im Leben ist die Fähigkeit, Risiken einzuschätzen und ein Gespür für den Umgang mit Gefahrensituationen zu entwickeln. Das lernen Kinder beispielsweise auf dem Spielplatz – wenn man sie lässt. Julian Richter, Geschäftsführer von Richter-Spielgeräte in Frasdorf erklärt, wie wichtig es ist, unseren Kindern mehr zuzutrauen – und warum Themenspielplätze die Kreativität einengen.
von Susanne Wannags erschienen am 13.12.2024Wie unterstützen Sie als Spielgerätehersteller den Erwerb dieser Erfahrungen? Natürlich können wir uns nicht gänzlich frei bewegen als Hersteller – es gibt Vorschriften und Regeln, allen voran die Spielgerätenormen. Wir versuchen, innerhalb dieses Rahmens eigene Wege zu gehen. Wir haben bei uns einen Grundsatz: „Sicherheit auf andere Weise“ Dabei spielt der Nutzer eine große Rolle. Beispielsweise haben wir Spielgeräte mit einer maximalen Fallhöhe von 5 m, die aber ab bestimmten Höhen nur noch schwer zugänglich sind. Ganz hinauf kommen nur Kinder – meistens sind das schon Jugendliche – die dafür auch wirklich fit genug sind. Sie sind immer in der Lage, sich selbst zu sichern – da fällt keiner runter. Wenn sie da ankommen, verschafft ihnen das eine enorme Befriedigung, weil sie Ebenen und Höhen erreichen, die andere noch nicht schaffen, aber eben nur in Verbindung mit entsprechender geistiger und körperlicher Fitness. Wie sieht es denn grundsätzlich beim Klettern mit den Unfallgefahren aus? Dass Kinder beim Klettern herunterfallen, passiert so gut wie nie, egal aus welcher Höhe. Kinder sind beim Klettern sehr fokussiert darauf, sich selbst zu sichern. Wenn Sie Kindern beim Klettern zuschauen, egal ob auf einer Höhe von einem halben Meter oder vier Metern, werden Sie feststellen, dass sie immer darauf achten, an drei Punkten gesichert zu sein, also beide Hände und ein Fuß oder zwei Füße, eine Hand. Wenn etwas passiert, dann muss das schon im Baum ein morscher Ast gewesen sein. Ein ganz typisches Beispiel für Unfälle beim Klettern ist auch der stolze Elternteil, der das Kind animiert, weiter zu gehen als es eigentlich will oder es vielleicht sogar noch irgendwo hochhebt, wo es von alleine gar nicht hingehen würde. 1 Es ist ja auch immer wieder vom Spielwert eines Gerätes die Rede. Was macht Spielwert für Sie aus? Für mich ist das etwas, was man schön daran ablesen kann, wie lange sich Kinder an bestimmten Geräten aufhalten. Das muss dann noch gar nichts mit Aktivität zu tun haben. Halten sie sich gerne dort auf, dann ist der Spielwert meiner Ansicht nach hoch. Natürlich gibt es auch noch technische Indikatoren, zum Beispiel viel Spielfunktionen in einem Gerät oder welche Risiken angeboten werden. Wobei man hier vorsichtig sein muss. Einige unserer Kletterstrukturen schauen auf den ersten Blick sehr einfach aus, weil dort sozusagen Balken übereinandergelegt werden, ähnlich wie Baumstämme im Wald nach einem Windwurf. Wir haben immer wieder Kunden, die dann sagen, dass man an diese oder jene Ecke doch noch eine Schaukel hängen oder eine Rutschstange befestigen könnte, weil sie denken, dass dann das Gerät mehr Funktion hat. Aber gerade beim Klettern sind Kinder sehr konzentriert. Eine Schaukel am Gerät lenkt davon eher ab. Spielwert hat ein Gerät auch, wenn es Kinder über einen längeren Zeitraum begleitet und dabei fördert und fordert. Nehmen Sie einen Kletterwald: erst schafft man nur die unteren Ebenen, irgendwann geht man höher und höher. Das stärkt die Risikobereitschaft und den Umgang mit Herausforderungen. Welche Rolle spielen Materialien für den Spielwert eines Spielplatzes? Materialien haben in der Menschheitsgeschichte immer eine große Rolle gespielt. Materialien waren wesentlich für menschliche Weiterentwicklung, nehmen Sie Feuersteine, oder Metall für Werkzeuge. Ich bin überzeugt, dass Menschen zu bestimmten Materialien eine Verbindung haben und da zähle ich Holz dazu. Wir umgeben uns gern mit Holz, fassen es gerne an. Das ist ein Material, das positive Emotionen und Wohlbefinden fördert. Nicht umsonst schlafen wir in Zirben-Betten oder bauen uns Holzhäuser. Welche Atmosphäre auf einem Spielplatz entsteht, wird auch vom Material bestimmt. Einen Fallschutz aus Kieseln oder Hackschnitzeln kann man auch in die Hand nehmen und damit spielen, das hat einen anderen Charakter als ein synthetischer Gummiboden. Der inspiriert niemanden zum Spielen, aber loses Material schon. Natürlich kann auch eine alte Fabrikhalle mit viel Stahlbeton ein toller Platz für Spielerlebnisse sein. Wie sieht denn für Sie der ideale Spielplatz aus? Wenn wir uns mal vom künstlich geschaffenen Spielplatz wegbewegen, ist der ideale Spielplatz in der Vorstellung vieler ein Wald mit einem kleinen Bach, Bäumen mit niedrigen Ästen, ein paar Felsen und einer Wiese nebendran. In so einem Idyll würden sich Kinder frei entfalten können. Da wir das so nicht überall finden und außerdem die Natur nur begrenzte Kapazitäten hat, sind wir dazu übergangen, Orte zu schaffen, an denen Kinder sich austoben können. Ein idealer, künstlich geschaffener Spielplatz muss in erster Linie atmosphärisch gut sein – das kann man mit Geräten alleine nicht herstellen. Deshalb brauchen wir immer auch eine planerische Leistung, ob die nun aus dem Grünflächenamt kommt oder vom externen Landschaftsarchitekturbüro. Wichtigste Aufgabe der Planer ist es, ein Ensemble aus Geländemodellierung, Ausstattung und Bepflanzung zu schaffen, das dass Wohlbefinden fördert. Ich glaube es ist gar nicht so wichtig, dass es da möglichst viele Spielfunktionen gibt. Auch von einem kleinen Wasserspielplatz mit einer Pumpe, aus der das Wasser in einen Sandhaufen fließt, wären schon viele Kinder begeistert. Deshalb gehören natürliche und lose Materialien – dazu zähle ich auch Wasser – unbedingt auf einen Spielplatz. Leider geht der Trend dahin, das Technische in den Vordergrund zu stellen: da wird ein Gummiboden gewählt, der erst mal nicht ausgetauscht werden muss. Da sind die Geräte aus scheinbar unverwüstlichem Stahl. Es geht dann mehr um die Bedürfnisse der Erwachsenen als um die Bedürfnisse der Kinder. Häufig sieht man auch sogenannte Themen-Spielgeräte, beispielsweise eine Ritterburg oder ein Piratenschiff. Brauchen Kinder das oder engt das ihre Phantasie eher ein? Auch die Themenspielplätze sind etwas, was wir Erwachsenen uns vorstellen, beispielsweise weil es im Ort eine Burg gibt. Es liegt nahe, dass auf dem Spielplatz eines Erdbeerhofs alle Spielgeräte aussehen wie Erdbeeren. Das mag passen und gut im Werbeprospekt aussehen, aber wenn man nur auf das Spiel schaut, ist das nicht nötig. Ich glaube eher, dass das die Kreativität einengt. Kinder können mit einer Decke und einem Tisch tolle Dinge spielen, sie sind Höhlenforscher oder eine Bärenfamilie oder Räuber. Auch eine Felsenlandschaft oder ein Spielhaus kann zur Ritterburg werden. Wenn wir das zu sehr vordenken und vorplanen, dann berauben wir sie der Möglichkeiten, die eigene Phantasie spielen zu lassen. Diese Vorstellungskraft wollen wir doch auch fördern.
„Stellen wir zu sehr die Risikoarmut in den Fokus, nehmen wir Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, sich zu entfalten und diese Kompetenzen aufzubauen.“ Julian Richter
Risikokompetenz fördern auf der einen Seite, Inklusion, also Teilhabe für viele auf der anderen. Wie bringt man das als Spielgerätehersteller zusammen? Es war schon immer unser Anliegen, dass wir für alle Menschen, Fähigkeiten und Leistungsniveaus Angebote machen. Wir müssen in einer Gesellschaft akzeptieren, dass wir alle unterschiedlich sind und auch alle einbeziehen: jung, alt, Menschen mit Einschränkungen, aber auch hoch qualifizierte Sportler. Das darf aber nicht dazu führen, dass wir alles für alle zugänglich machen und alle Anforderungen auf ein Minimum reduzieren. So würden wir Kindern wieder die Möglichkeit nehmen, sich zu entfalten. Zugänglichkeit an gewissen Punkten ja, aber wenn wir alles für alle zugänglich machen, entstehen wiederum neue Gefahrensituationen. Beispielsweise kämen Krabbelkinder über Rampen auch an Plätze, an denen sie nichts zu suchen haben. Kürzlich haben wir ein Spielschiff für einen Spielplatz in Barcelona gebaut. In der Mitte ist es für Rollstuhlfahrer zugänglich. Jeder soll dabei sein, das ist für mich Inklusion. Aber nicht jeder muss auch überall hinkommen. 2
„Jeder soll dabei sein, das ist für mich Inklusion. Aber nicht jeder muss auch überall hinkommen.“ Julian Richter
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