Ein Motor für die Landschaftsarchitektur
Chance für die Freiraumplanung: Mit der EU-Taxonomie legt die EU-Kommission Standards für ökologisches Wirtschaften fest. Seit Januar 2023 gilt das Regelwerk auch für die Baubranche. Bernhard Scharf, Experte für nature-based solutions, informiert.
- Veröffentlicht am
FG: Der Begriff EU-Taxonomie klingt sperrig und lässt die eher kreativ veranlagten Planerinnen und Planer wahrscheinlich schnell aussteigen. Um welche Art Verordnung handelt es sich hier?
Scharf: Das Ganze beginnt mit dem Green Deal. Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, eine Transformation anzugehen von einer Wirtschaftsweise, die so nicht mehr fortzuführen ist, hin zu einer nachhaltigeren Lebensweise. Nur so ist der Wohlstand und die Sicherheit in Europa zu erhalten. Diese Transformation soll vor allem über den Finanzsektor erfolgen. Die Europäische Zentralbank und damit auch der europäische Finanzmarkt, haben beschlossen, dass grüne Projekte in Zukunft günstigere Konditionen bei der Finanzierung bekommen sollen. Genau genommen bleibt es für die grünen Projekte wie es ist und nur die nicht-grünen Projekte werden teurer. So werden Investitionen in mehr Nachhaltigkeit zukünftig gefördert.
Was bedeutet in diesem Sinne „grün“? Wie werden die Projekte in „grün“ und „nicht-grün“ klassifiziert?
Scharf: Da braucht es natürlich Regeln, und genau diese definiert die EU-Taxonomie. Es gibt sechs Umweltziele, auf die ein Projekt hin beurteilt wird: Klimaschutz, Klimawandelanpassung, Schonung der Wasser- und Meeresressourcen, Beitrag zur Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und Verminderung von Umweltverschmutzung und die Wahrung der Biodiversität. Damit Du grün bist, muss Du zu einem der Ziele einen wesentlichen Beitrag, ein significant contribution leisten. Das Schöne daran ist das gleichzeitig geltende Prinzip „Do no significant harm“: Das bedeutet, dass an keinem der fünf übrigen Ziele ein signifikanter Schaden verursacht werden darf. Das ist elementar, weil Maßnahmen, die vielleicht eine Ebene wirklich gut bedienen, nicht ermöglicht werden, wenn sie an anderer Stelle Schaden verursachen. Ein gutes Beispiel ist ein Windrad in einem Naturschutzgebiet. Eigentlich ein großartiges Prinzip!
(...)
Wie kann man ein Projekt umfassend auf seine Taxonomie-Konformität prüfen? Das ist doch ungeheuer komplex.
Scharf: Nach zehn Jahren Grundlagenforschung gemeinsam mit der BOKU Wien haben wir mit greenpass eine Methodik entwickelt, wie man Freiraumprojekte bewerten kann. Das Simulationsprogramm arbeitet mit den Copernikus Daten. Das sind von der EU zur Verfügung gestellte hochauflösliche Klimadaten, darin sind 2.100 Szenarien für Europa abgebildet. Die Szenarien laufen über 30 Jahre. Diese Zeitspanne orientiert sich am Finanzsektor: nach 30 Jahren sind Immobilien abgeschrieben und raus aus dem wirtschaftlichen Kalkül.
Mit greenpass gehen wir an Hausverwaltungen, Portfoliomanagern, Versicherungen und andere Finanzakteure. Die sind da schon weiter, weil sie von jeher Bonitätsprüfungen machen und es gewohnt sind, gewisse Prüfkriterien anzulegen. Der Charakter der Taxonomie ist kein starres Lehrwerk, sondern soll dem Finanzsektor eine Orientierungshilfe und Regeln geben.
Im Klimaschutz wird zum Beispiel vorgegeben, wie viel Energieverbrauch ein Gebäude haben darf. Bei den Klimawandelanpassungen ist die Maßgabe, dass man sich Umweltrisiken im Bereich Klima, Wasser, Wind und Boden anschauen muss.
Das Bewertungsprogramm greenpass hat dafür 28 akute und chronische Risiken definiert. Bei einer wirtschaftlichen Aktivität, wie Bauen oder Kaufen, sind diese Risiken zu bewerten. Man muss prüfen, gibt es dieses Risiko am Standort des Projekts. Wenn nein: gut, wenn ja: wie hoch ist das Risiko? Dafür nehmen wir ein Extremszenario und ein Objekt, dann schauen wir, wie es das Objekt betrifft und wie häufig. Das Risikopotenzial kann also sehr hoch sein.
Und was mache ich, wenn mein Projekt ein hohes oder sehr hohes Risikopotential hat?
Will man taxonomie-konform sein, muss man im Falle von zu hohen Risiken Maßnahmen ergreifen. Bei den Maßnahmen wird die grüne Infrastruktur hervorgehoben. Das zeigt, die EU-Kommission hat verstanden, dass nature based solutions einen hervorragenden Beitrag leisten, Risiken abzumildern. Und die Kosten dafür sind im Vergleich zur gesamten Baumaßnahme gering, vielleicht 2 % der Bausumme. Was auch ganz wesentlich ist: Laut Verordnung muss man binnen zwei Jahren umsetzen und in einem Monitoring die Wirksamkeit nachweisen.
Was bedeutet die EU-Taxonomie somit für die Bauwirtschaft?
Die Regelung betrifft nahezu alle Wirtschaftsbereiche und eben auch die Baubranche. Immer wenn gebaut, verkauft oder gekauft wird, sollten die Taxonomiebedingungen nachgewiesen werden. Seit 1. Januar 2023 gilt das in der gesamten EU. Wer nicht taxonomie-konform ist, muss in einigen Jahren laut der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) mit einem Wertverlust von 20 % rechnen. Das ist böse und tut wirklich weh. Da schrillen dann die Alarmglocken.
Wie kann die Landschaftsarchitektur davon profitieren? Und hat der Berufsstand Ihrer Meinung nach diese Chance schon erkannt?
In Zukunft wird es darauf ankommen: Wer hat die Lösungen und wer wird die Kompetenzen haben. Da mache ich mir große Sorgen um die Landschaftsarchitektur. Die bewegt sich, zumindest in Österreich, sehr im Künstlerisch-Elaborierten und hat noch nicht verstanden, dass Klimawandel und Klimaanpassung eine historische Chance ist für die Landschaftsarchitektur und die Stärkung der Rolle der Landschaftsarchitektur. Ich sage das nur ungern, aber ich habe das Gefühl, dass die Architekturbüros und die Bauingenieure hier der Landschaftsarchitektur einen Teil ihres Aufgabengebietes entzieht und entziehen werden, einfach weil die Landschaftsarchitekten sagen: ach, das kann ich doch und mache ich doch schon alles. Können sie aber nicht und machen sie auch nicht, weil es einfach zu komplex ist. Die ganze Geschichte mit der EU-Taxonomie ist tatsächlich kompliziert. Da muss man in der Branche erst mal jemanden finden, der das in der Tiefe versteht und umsetzen kann. Die schnell sind, werden die Nase vorhaben – die Dinosaurier bauen, bis es ihnen die Behörden verbieten.
(...)
Abonnenten lesen den gesamten Beitrag in Ausgabe 1/24 FREIRAUM GESTALTEN oder in unserem Online-Archiv.
Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Artikel kommentierenSchreiben Sie den ersten Kommentar.