So gestalten Sie Ihre Kommune sozial nachhaltig
Je stabiler die Gesellschaft in einem Raum ist, desto besser funktioniert sie. Eine wichtige Voraussetzung für Stabilität ist dabei soziales Aufgehobensein, gelungene Integration und ein breites Angebot an Teilhabe. Hier beschrieben wir, worauf es ankommt und wie sich soziale Integration in einer Kommune oder einem Viertel auch im Freiraum gestalterisch verwirklichen lässt.
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- Entwurf, Stand: 12.12.2022 -
> Bürgerbeteiligung/Partizipation macht Bedürfnisse transparent: Keine Planerin und kein Planer kennt die Bedürfnisse der Nutzergruppen, wenn sie oder er diese nicht befragt hat. Das ist zwar anstrengender, bringt aber oft aufschlussreiche Erkenntnisse über die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer. Zudem ist Partizipation gelebte Demokratie - die Menschen haben die Möglichkeit, sich an der Gestaltung ihres Umfeldes zu beteiligen.
Auf die Partizipation spezialisierte Büros helfen, den Prozess optimal zu gestalten.
> Kurze Wege sind sozial nachhaltig: Die Stadt Paris will zur 15-Minuten-Stadt werden. D.h. alle wichtigen Verrichtungen sollen innerhalb von 15 Gehminuten zu erledigen sein. Kurze Wege verbessern die Teilhabe, denn sie ermöglichen auch weniger mobilen Bevölkerungsgruppen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. (Studie dazu in Englisch)
> Der öffentliche Raum muss den Aufenthalt ohne Konsumpflicht gewährleisten: Stadtplätze sind historisch betrachtet die Geburtsstätten unserer Demokratie. Ein unbeschränkter Aufenthalt auf diesen, ist eine Grundvoraussetzung einer stabilen Stadtgesellschaft und gleichberechtigter Teilhabe. Dazu gehört, dass es ausreichend Angebote zum Sitzen gibt und sich das Angebot nicht auf die Außenbestuhlung der Gastronomie beschränkt. Verbote wie in Rom, auf der Spanischen Treppe zu sitzen (ebenso auf den Sitzstufen am Rand des Markusplatzes in Venedig oder vor dem Dom in Florenz), können klar als Rückschritte bezeichnret werden, weil sie den freien demokratischen Raum beschränken. Shopping-Malls mit Hausrecht der Betreiber sind ebenfalls kein Ersatz des öffentlichen Raums, sondern reine Konsumorte.
> Treff- und Kommunikationspunkte erhöhen die Identifikation: Die Lebenqualität eines Raums wird nicht zuletzt durch Angebote bestimmt, die das Zusammenkommen und den Austausch ermöglichen. Je diverser diese Angebote sind und je besser sie an die vorhandenen Nutzergruppen/Kulturen angepasst sind, desto höher ist ihr Wert. Ihre Beschaffenheit ist so unterschiedlich, wie die Nutzergruppen. Beispiele können Gemeinschafts- und Stadtteiltreffs, Quartierscafes, Sport- und Spielflächen, Fahrradwerkstätten ebenso sein, wie gut möblierte Stadtplätze. Intensive Bürgerbeteiligung hilft auch hier, die Wünsche der Nutzergruppen zu erfassen.
> WLAN verbessert die Teilhabe: In modernen Stadtgesellschaten wird Teilhabe auch dadurch definiert, dass Zugang zu digitalen Angeboten besteht. Kostenlose WLAN-Knotenpunkte oder Hotspots können über spezielle Einrichtungen, die Beleuchtungsinfrastruktur oder das Stadtmobiliar zur Verfügung gestellt werden. Das kann in mit schlechterem Empfang belasteten ländlichen Regionen eine erhöhte Anziehungskraft öffentlicher Räume bedeuten.
> Mobilitätsangebote für alle sind wichtig: In der Vergangenheit wurden viele städtische Strukturen auf den Pkw-Individualverkehr ausgerichtet. Das ging mit einem hohen Flächenverbrauch und einem Verlust an Lebensqualität für alle einher, die nicht im Auto saßen. Deshalb ist die "autogerechte Stadt" schon lange nicht mehr zeitgemäß. Moderne Stadtplanung muss Mobilitätsangebote an alle Zielgruppen machen und besondere Rücksicht auf weniger mobile Zielgruppen (ältere Menschen, Behinderte, Jugendliche, Einkommensschwache) nehmen. Öffentlicher Nahverkehr und Sharing-Modelle müssen Teil der Überlegungen zur Neu- oder Umgestaltung werden.
> Shared Spaces für gleichberechtigte Nutzung des öffentlichen Raumes: Entsprechend der Vorgabe, Mobilitätsangebote für alle zu schaffen, muss auch der Raum so gestaltet werden, dass kein Verkehrsmittel den Vortritt erhält und alle Verkehrsteilnehmer ihre Gleichberechtigung auch erkennen können. Da in der Vergangenheit die Straßenräume in erster Linie auf Kfz-Individualverkehr ausgerichtet waren, müssen sie nun als gleichberechtigende Räume (Shared Spaces) geplant werden. Das gelingt in erster Linie durch die Gestaltung von Belagsflächen oder das Entfernen der Beschilderung.
> Barrierefreiheit im öffentlichen Raum ist Voraussetzung: Damit möglich viele Menschen am öffentlichen Leben teilhaben können, müssen die Räume auf für Menschen erschlossen werden, die durch körperliche Einschränkungen (Gehbehinderte, Rollstuhlfahrende, Sehbehinderte, Schwerhörige etc.) in ihrer Freiheit begrenzt werden. Oft hakt es zum Beispiel an den Zugängen/Übergängen im Nachverkehr.
> Grün- und Erholungsflächen heben das Wohlbefinden: Es gibt zahlreiche Untersuchungen zur Wohlfahrtswirkung von Grünflächen. Sie wirken auf sehr unterschiedliche Art und Weise positiv auf Psyche und Physis, weil sie extreme Wetterlagen abpuffern (Kühlung bei Hitze, Steigerung der Luftfeuchtigkeit, Staubbindung etc.) oder Naturerlebnisse bieten. Gut angelegte und gepflegte Grünflächen sind damit immer sozial nachhaltig. Dabei bezieht sich das "gut" in Anlage und Pflege auf die exakte Ausrichtung auf die angestrebte Zielstellung (Beispiel: eine gut als Brache gepflegte Fläche, die Naturerlebnisse ermöglichen soll, kann in den Augen mancher Menschen durchaus ungepflegt erscheinen).
> Urbane Nahrungsmittelproduktion ist auch Umweltbildung: Zahlreiche Urban-Gardening-Projekte versuchen sich in der Raumaneignung über die gemeinschaftliche gärtnerische Nutzung. Dabei werden öffentliche, meist unterqualifiziert genutzte Flächen in (temporäre) Anbauflächen verwandelt. Meist junge, oft naturfern sozialisierte Zielgruppen, entdecken dabei die Freuden und Rückschläge des Eigenanbaus von Obst und Gemüse. Kommunen können hier mit relativ geringem Invest spannende soziale Experimente starten und damit auch soziale Nachhaltigkeit generieren.
> Ausrichtung der Bepflanzung am Konzept "essbare Stadt": Durch die Verwendung von Gehölzen mit essbaren Früchten sowie Kräutern im öffentlichen Grün bekommt das Stadt- und Gemeindegrün eine weitere Ebene. Als Mosaikstein der Umweltbildung lernen auch Stadtkinder den Unterschied zwischen giftigen und essbaren Pflanzen kennen, der Zusammenhang von Natur und Ernährung wird sichtbar gemacht, die Beziehung zum Stadtgrün gefördert. Das Konzept kombiniert ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit (siehe dazu auch mundraub.org und ein Interview mit Gründer Kai Gildhorn, bzw. Konzept "eßbares Andernach).
> Umweltbildung ist sozial nachhaltig: Immer mehr Menschen werden ohne Naturerfahrungen sozialisiert. Diese Tatsache bestimmt auch ihre späteren Prioritäten und Entscheidungen. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, sollte der Freiraum intensiv für die Umweltbildung genutzt werden. In Kombination mit modernen Kommunikationsmedien (QR-Codes, Smartphones) lassen sich Inhalte leicht vom Analogen ins Digitale übersetzen.
> Sportangebote sind wichtiger gesellschaftlicher Beitrag: Eine Gesellschaft, in der immer mehr Menschen einen Großteil Ihrer Zeit vor Bildschirmen verbringen, braucht dringend ortsnahen Ausgleich durch Bewegungsangebote. Wichtiger Bestandteil solcher Angebote sind an lokalen Bedarfen ausgerichtete Sportflächen (Mannschaftssport, Individualsport) .Im Sinne der multicodierten Flächennutzung sollten sie nicht nur für möglichst viele Nutzer gedacht, sondern auch attraktiv und naturnah in den Raum eingebettet werden.
> Angebote für Jugendliche sind besonders wichtig: Je nach Bevölkerungsstruktur des betreffenden Raums haben Angebote für Jugendliche besondere Bedeutung. Je schlechter ein Viertel von der Einkommens-, Wohn- und Bildungssituation, desto wichtiger ist, Kindern und Jugendlichen Angebote im Freiraum zu schaffen, um ihrem Bewegungsdrang Raum zu geben und Spiel oder Sport mit Gleichaltrigen zu ermöglichen.
> Mehr-Generationen- und Seniorenangebote: Einerseits tut es einer Gesellschaft gut, wenn unterschiedliche Zielgruppen miteinander in Austausch kommen, andererseits haben die Menschen mit wachsender Lebenerwartung auch mehr Freizeitbedürfnisse in fortgeschrittenem Alter. Sozial nachhaltig sind deshalb Anlagen, die für unterschiedliche Altersgruppen attraktiv sind, weil sie Spiel- oder Spoartangebote machen und zugleich zum Austausch einladen, der Gesunderhaltung ebenso dienen, wie der Bewegungsfreude.
> Das Thema niedrigschwellige Bewegung mitdenken: Bewegung findet in der heutigen Zeit nur noch geplant statt. Fehlende Zeit führt dann nicht selten zu totalem Stillstand. Die Infrastruktur der Innenstädte besitzt das Potential, für kleine Bewegungsinterventionen. Betonwände von Mülleimern, versehen mit Klettergriffen, die Schaukel neben der Bushaltestelle oder einfach bewegungsauffordernde Sticker auf dem Boden ("Der Flamingo schläft auf einem Bein, wie lange schaffst du es?“) wirken wahre Wunder. Ebenso wäre das Zurücklegen einer Strecke, ohne den Boden zu berühren („Floor is Lava“) eine Rückbesinnung auf das innere Kind, was auch im Erwachsenenalter ab und zu einmal zum Spielen rausdarf, wenn niemand guckt. (Benjamin Scheffler, www.trace-space.com)
> bespielbare Stadt/ Schulweg als Spielweg/ Spielleitplanung: Es lohnt sich multiperspektivisch zu denken, wenn es beispielsweise um Stadtmobilar geht. Der Perspektivwechsel von zweckdienlich zu Bewegungsmöglichkeit ist einfach und sollte bei der Planung mitgedacht werden.
> Hier geht es zu der Checkliste "Kommunale Freiräume ökologisch nachhaltig gestalten"
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