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Baubotanik

Architekten der Baumkrone

Pünktlich zum Jahreswechsel vor einem Jahr gründete sich das Büro OLA. Hier erzählen Prof. Dr. Ferdinand Ludwig, Daniel Schönle und Jakob Rauscher von den Wurzeln ihrer gemeinsamen Vision und von grüner Architektur, die daraus wächst.

 

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Der Platanenkubus in Nagold wurde im Rahmen der Landesgartenschau Nagold 2012 realisiert.
Der Platanenkubus in Nagold wurde im Rahmen der Landesgartenschau Nagold 2012 realisiert.Ferdinand Ludwig
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baubotanischer Kubus in Nagold

Fast monumental ragt der Turm aus dem herbstlichen Nebel auf. Das nasse, dunkle Metall bietet einen spannungsreichen Kontrast zu den Birken, deren zartes Laub goldgelb aus dem Herbstgrau hervorleuchtet. Die Stämme der Bäume bilden Rauten, ein Gerüst um die Stahlkonstruktion des Turms. Die Einzelbäume verschmelzen miteinander und mit der Struktur.

Ein anderer Ort im Hochsommer: Tiefgrün sind die Blätter der Platanen. Ihre Stämme und Äste bilden ein Gerüst um einen soliden Metallkubus. Wer näher hinschaut, erkennt Treppen und Ebenen, und tragende Elemente, versehen mit Jahreszahlen. Und einen Mann mit Rosenschere, der den Platanen zu Leibe rückt: Ferdinand Ludwig. Er war maßgeblich an der Entwicklung des Kubus beteiligt, der hier 2012 zur Landesgartenschau in Nagold errichtet wurde.

Wo damals noch die metallene Konstruktion dominierte, prägt heute das Grün den Raum: In zehn Jahren haben die Bäume eine üppige Baumkrone entwickelt. Im immergleichen Winkel gekreuzt bilden sie eine Struktur aus vielen Rauten, die eines Tages stark genug sein sollen, um die metallenen Treppen und Ebenen zu tragen. Allerdings gibt es starke und schwache Triebe. Um die einen zu bremsen und die anderen zu fördern und so eine ausgewogene Einheit zu schaffen, ist Ludwig heute im Einsatz. 

Baubotanik als Schwerpunkt

Ludwig ist Architekt. Und doch steht bei ihm nicht allein der gebaute Raum im Fokus, sondern auch die Pflanze – nämlich in Form der Baubotanik. Wie kam es dazu? „Ich bin im Studium über die historischen Ansätze der Baubotanik gestolpert und fand das faszinierend und skurril“, erzählt Ludwig. Die lebenden Brücken der Khasi in Indien, gebaut aus den Luftwurzeln von Gummibäumen; lebende Zäune, dicht verwoben aus Weißdorn¸ die Utopien Arthur Wiechulas von wachsenden Häusern. All diese Themen lassen den jungen Architekturstudenten nicht mehr los. Gemeinsam mit einem Kommilitonen beginnt er, mit Pflanzen zu experimentieren, auch nach seinem Abschluss. Schließlich promoviert er sogar zum Thema Baubotanik und erforscht die Pflanzenaddition.

Mit seiner Faszination für die Baubotanik ist Ludwig nicht allein. Schon seit mehr als zehn Jahren arbeitet er mit dem Architekten und Stadtplaner Daniel Schönle im Büro ludwig.schönle zusammen, entwickelt Projekte und nimmt an Wettbewerben teil. Allerdings gehen die ungewöhnlichen Gestaltungsideen mancher Jury zu weit. „Einmal haben wir als Jurybegründung die Rückmeldung bekommen: ‚Wirklich toll, aber das macht man als Architekt so nicht‘“, schmunzelt Ludwig kopfschüttelnd. Trotz der Kritik: Die baubotanischen Entwürfe begeistern, auch international.

Potenzial ausschöpfen

Die Kreativität der Baubotaniker ist mit den bisherigen Projekten jedoch keineswegs ausgeschöpft. „Wir können das Potenzial, das unsere Ideen haben, bisher gar nicht ausnutzen“, findet Schönle, „es liegen viele interessante Anfragen auf dem Tisch, die wir teils gar nicht bearbeiten.“ Gemeinsam mit ihrem langjährigen Mitarbeiter Jakob Rauscher haben die beiden deshalb im Januar das Büro 'OLA' gegründet.

OLA, das steht für „Office for Living Architecture“. „Allein schon der Name ist latent größenwahnsinnig“, gibt Ludwig lachend zu. Die Anspielung auf OMA, das „Office für Metropolitan Architecture“, ist dennoch bewusst gewählt, schließlich wollen die drei Architekten hoch hinaus.

Das übergreifende Ziel des jungen Unternehmens ist es, Gebäude und Freiraum zu verbinden. „Wir wollen in die Baumkrone!“, sagt Schönle, „wir wollen eine Verschmelzung von Konstruktion und Baum.“ Sein Büropartner Rauscher veranschaulicht diese Vision: „Es gilt, die Trennung aufzuheben: Der vertikale Raum gehört nicht nur den Architekten.“ Vielmehr sieht das Trio die Gebäude als erweiterte Grünfläche an, abseits der klassischen Dach- und Fassadenbegrünung. „Architektur in der Stadt sollte die Grundlage für die Vegetation sein statt ihr Gegenspieler“, erklärt Rauscher. „Wir wollen zeigen, dass das auch praktisch gute Lösungen sind.“

Stabiles Fundament

Und zum Zeigen haben die Baubotaniker so einiges. Obwohl das Büro erst wenige Monate alt ist, kann das Team bereits auf über zehn Jahre Erfahrungswissen zurückgreifen. Das Grüne Zimmer in Stuttgart, der Baubotanische Turm im Ruhestätter Ried, der Platanenkubus in Nagold: Aus diesen Projekten konnte das Team viel lernen, quasi die Kinderkrankheiten der noch jungen Disziplin kurieren. „Dieses Fundament ist unser Alleinstellungsmerkmal“, erklärt Ludwig. „Hier sieht man, dass es funktioniert. Das beflügelt unseren Mut und stärkt uns den Rücken.“

Bei ihren Auftraggebern kommt dieses Fundament gut an. Die über ein Jahrzehnt gewachsenen Projekte veranschaulichen, wie sich die Gehölze tatsächlich entwickeln. Die Aufträge kommen aus ganz Deutschland, aber auch weit über die europäischen Grenzen hinaus bis in den asiatischen Raum. Nicht immer ist dabei eine Entwurfsplanung gewünscht, oft werden die Architekten auch um ihre Beratung bei Projekten ersucht. Welche dieser Aufträge angenommen werden, hängt vom Zeitpunkt ab, an denen die Planer hinzugezogen werden. Einfach über eine fertige Hochbauplanung noch ein baubotanisches Korsett überstülpen, ist nicht die Sache des Büros. Die Baubotanik soll schon zu Projektbeginn in Erwägung gezogen und mit eingebunden werden. Nur so können nachhaltige, funktionierende Lösungen entstehen. „Die Baubotanik ist nicht immer die beste Lösung“, schränkt Schönle ein. „Aber sie ist eine neue, sehr vielversprechende Möglichkeit.“

Derzeit arbeiten Ludwig, Rauscher und Schönle alle Projekte in Eigenregie ab. Schönle ist dabei meist in der Konzeption tätig, Ludwig bezeichnet sich selbst als „gärtnerischen Entwerfer“ und Rauschers Stärken liegen im Bereich der Gestaltung und Darstellung. „Ich bringe den entwurflichen Wahnsinn mit rein“, scherzt er.

Im Netzwerk arbeiten

Der Vorteil des jungen Büros: Alle drei Unternehmer sind beruflich auch noch anderweitig involviert. Daniel Schönle hat parallel ein Büro als Architekt und Stadtplaner, in dem Jakob Rauscher als Mitarbeiter tätig ist; Ferdinand Ludwig hat eine Professur an der TU München inne. So ist das Büro nicht auf eine gute Auftragslage oder gar die Einhaltung eines Businessplans angewiesen. „Der Clou dabei ist, dass wir immer handlungsfähig sind“, erklärt Schönle. Dabei sind sie aber nicht auf sich allein gestellt. Zwar haben sie derzeit noch keine festen Mitarbeiter – dieser Schritt wird zu einem späteren Zeitpunkt folgen –, aber das Team arbeitet regelmäßig mit anderen Büros zusammen. „Wir sind starke Netzwerker“, meint Ludwig. So arbeitet OLA beratend für andere Büros oder zieht Architekten und Landschaftsarchitekten für bestimmte Leistungsphasen nach HOAI hinzu.

Die HOAI ist, nebenbei bemerkt, eine der größten Herausforderungen für ein Büro, das baubotanische Projekte entwickelt. „Wir haben das Dilemma, dass unsere Projekte prozessual sind“, führt Schönle aus. Mit der Pflanzung ist ihr Werk längst nicht vollendet, es braucht Jahre fachlich versierter Pflege, bis die lebenden Elemente der Projekte ihre Funktion erfüllen. „Wir brauchen dafür Verantwortlichkeitsstrukturen jenseits der HOAI.“ Diese Sonderstellung der Baubotanik erfordert gleichzeitig auch die Bereitschaft der Bauherren, auf diesen Prozess einzugehen.

Die Bereitschaft dazu existiert: Durch umfangreiche Aktivität auf Fachtagungen, in den Social Media und dank mehrerer Fernsehbeiträge ist die Arbeit des Teams inzwischen international bekannt. Für Ludwig und seine Partner die perfekte Chance, die Möglichkeiten der Baubotanik für ein breites Publikum zugänglich zu machen: „Wir wollen die Potenziale des Interesses ausnutzen, das uns in den vergangenen Jahren entgegengebracht wurde.“ Für das Büro gilt deshalb ebenso wie für die baubotanischen Werke, die es erschafft: Wachstum ist erwünscht.

wichtige Begriffe

Baubotanik

Die Baubotanik ist als prozessuale Kombination von lebenden Pflanzen und herkömmlichen Baumaterialien zu verstehen. Dabei ist sie definiert als „Bauweise, bei der Bauwerke durch das Zusammenwirken technischen Fügens und pflanzlichen Wachsens entstehen“. Die Verwachsung der Gehölze miteinander und mit den technischen Konstruktionselementen spielt dabei eine zentrale Rolle.

Pflanzenaddition

Um lebende Bauwerke unmittelbar in der Dimension ausgewachsener Bäume zu konstruieren, kann die Pflanzenaddition eingesetzt werden. Bei diesem Verfahren werden junge, in speziellen Behältern wurzelnde Pflanzen derart im Raum angeordnet und – durch mit dem gärtnerischen Pfropfen vergleichbare Methoden – so miteinander verbunden, dass sie zu einer pflanzlichen Fachwerkstruktur verwachsen. (www.ferdinandludwig.de)

Baubotanische Büros

Neben OLA gibt es im deutschsprachigen Raum noch ein weiteres Büro, das sich mit dem Thema Baubotanik befasst: Das Bureau Baubotanik aus Stuttgart steht für die Integration der Lebensprozesse unserer pflanzlichen Umwelt in die Architektur. Das Unternehmen ging 2010 aus der 2007 gegründeten Entwicklungsgesellschaft für Baubotanik hervor und entwickelt die im Rahmen der Entwicklungsgesellschaft entstandenen Konzepte und Projekte weiter.
www.bureau-baubotanik.de 
www.o-l-a.eu 

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