Satzung für Freiraum und Klima
Um Kommunen klimagerechter zu entwickeln, müssen sie grüner werden. Frankfurt am Main hat seit Mai 2023 als erster größerer Stadt Hessens eine geltende Gestaltungssatzung zu Freiraum und Klima. Die wesentlichen Inhalte lesen Sie hier:
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Regelwerk für ein besseres Mikroklima und mehr Lebensqualität
Der Umgang mit dem Klimawandel ist eine zentrale Herausforderung in Städten. Um Kommunen klimagerechter zu entwickeln, müssen sie grüner werden. Die in Frankfurt am Main seit dem 10. Mai 2023 als erster größerer Stadt Hessens geltende Gestaltungssatzung Freiraum und Klima (Freiraumsatzung) ist diesem Anspruch verpflichtet. Das Regelwerk sieht bei allen Neu- und Umbauten die Begrünung von Freiflächen, Stellplätzen und Garagen, Dächern und Fassaden vor. Es leistet so einen Beitrag zur Verbesserung des Mikroklimas und der Lebensqualität in den Quartieren. Zugleich liegt bei dem Vorhaben ein besonderes Augenmerk auf einer umfassenden Sensibilisierung und Information der Bürgerinnen und Bürger.
Warum die Satzung?
Bislang gibt es zwar einschlägige Normen auf Bundes- und Landesebene, die das Klima im Fokus haben oder zumindest mitbetrachten, aber kaum verbindliche Vorschriften auf kommunaler Ebene. Denn für größere Teile der Stadt liegen keine Bebauungspläne bzw. lediglich Fluchtlinienpläne vor, weshalb häufig unter den Voraussetzungen des § 34 BauGB gebaut werden darf. Auch ältere Bebauungspläne enthalten in der Regel keine Festlegungen zum Klimaschutz.
Auf Initiative und Vorarbeiten des Umweltamts und unter Bezug auf § 91 der Hessischen Bauordnung (HBO), welcher die Kommunen ermächtigt, durch Satzungen örtliche Bauvorschriften zu erlassen, war das Vorhaben federführend bei der Bauaufsicht angesiedelt, unter weiterer Beteiligung des Klimareferats, des Stadtplanungsamts und des Grünflächenamts. Denn neben der Umsetzung von Maßnahmen des Klimaschutzes geht es in der neuen Satzung insbesondere auch um Stadtgestaltung und Biodiversität.
Der Wortlaut der Satzung und die Broschüre finden sich am Ende des Artikels oder auf der Webseite der Stadt Frankfurt: STADT FRANKFURT
Ausgangslage
Frankfurt am Main gehört klimatisch zu den heißesten Städten Deutschlands. Die Jahresniederschläge sind niedrig, es entstehen häufig austauscharme Wetterlagen sowie hohe hochsommerliche Mittel- und Extremtemperaturen. Von deren Auswirkungen besonders betroffen sind vor allem die verdichteten und hochgradig versiegelten Innenstadtlagen. Damit gewinnt eine klimagerechte Weiterentwicklung gerade der innerstädtischen Bestandsquartiere, ihrer Freiräume und Gestaltung der Gebäudehüllen eine große Bedeutung für die Lebensqualität in der Stadt.
Blick auf andere Großstädte
Andere Städte wie München (Freiflächengestaltungssatzung, bereits 1996) oder Aachen (Grün- und Gestaltungssatzung, 2017) waren mit ihren Satzungen Vorreiter, haben sich zunächst aber vielfach auf Begrünungsanforderungen für Gärten und Freiflächen konzentriert. Die Nürnberger Satzung von 2022 (Begrünungssatzung) verfolgt bereits einen umfassenderen städtebaulichen, stadtgestalterischen und stadtökologischen Anspruch auf Anpassung der Stadt an die Folgen des Klimawandels.
Mehrdimensional statt reine Gartensatzung
Auch das Ziel der Frankfurter Satzung besteht darin, möglichst viele Faktoren zu berücksichtigen, welche das Mikroklima beeinflussen – also eine mehrdimensionale Freiraum- und keine bloße Gartensatzung, die im September 2021 in einem ersten Entwurf den Gremien der Stadt vorgelegt wurde. Ende März 2023 nahm das Regelwerk durch Beschluss in der Stadtverordnetenversammlung seine letzte Hürde, getragen von der regierenden Koalition aus Grünen, SPD, FDP und Volt.
Umfassende Vorschriften zur Begrünung, Verschattung und Co.
Der neuen Freiraumsatzung zufolge sind Gärten und Höfe, oberirdische Stellplätze und nicht überbaute Tiefgaragen, Teile der Fassade sowie Dachflächen zu begrünen. Hierunter ist eine dauerhafte Bepflanzung zu verstehen. Künstliche Pflanzen und Kunstrasen sind tabu, ebenso Schotter- und Kiesgärten. Hinzu kommen konkrete Vorgaben zu Art, Umfang und Anzahl von Bäumen und Sträuchern entsprechend der jeweiligen Grundstücksgröße. Es geht vor allem darum, den Hitzeeintrag zu vermindern, mehr Schatten zu schaffen, zunehmender Flächenversiegelung entgegenzuwirken, die Biodiversität zu fördern und damit einen Beitrag zur nachhaltigen Stadtgestaltung zu leisten.
Klare Handlungsanweisungen
Zwar sind nicht alle Vorschriften im Kern neu, aber sie geben fassbarere Handlungsanweisungen. So sieht beispielsweise die HBO in § 8, Abs. 1 allgemein vor, Freiflächen zu begrünen, aber die Frankfurter Freiraumsatzung präzisiert diese Regeln und schafft mehr Rechtssicherheit. So müssen etwa nicht überbaute Tiefgaragen mit einer mindestens 0,8 m hohen Erdschicht überdeckt werden, die niveaugleich mit dem Gelände der angrenzenden Flächen abschließt, damit ein im Zusammenhang nutzbarer Freiraum entsteht. In einem Radius von 2,50 m um Bäume herum erhöht sich die notwendige Erdüberdeckung auf Tiefgaragen auf mindestens 1,20 m.
Vorgaben für Gebäudegrün und Freiflächen
Dächer mit einem Neigungswinkel von bis zu 20 Grad sind mit mindestens 12 cm Vegetationstragschicht zuzüglich Filter- und Drainageschicht zu begrünen; bei Garagen, Carports und ähnlichen Bauten sind es 8 cm. Dabei ist die Kombination mit Solaranlagen erlaubt. Fassaden müssen künftig bis zu einer Höhe von 3 m abzüglich Fenster und Türen zu mindestens 50 % flächig begrünt werden. Für Freiflächen gibt es die Pflicht, auf mindestens 10 % der Fläche standortgerechte Sträucher zu pflanzen und pro angefangene 200 m² einen mittel- oder großkronigen Laubbaum.
Materialvorgaben
Weiterhin hat die Satzung nicht nur Dächer, Fassaden und Höfe im Blick, sondern auch die zu einzusetzenden Materialien. So sind bei den zulässig befestigten Flächen helle Materialien zu verwenden, die sich weniger aufheizen. Gleiches gilt für nach Osten, Süden und Westen ausgerichtete Fassaden. Umhausungen von Müllbehältern, oftmals aus Hitze speicherndem Beton, sind zu begrünen. Auch Einfriedungen müssen künftig luft- und lichtdurchlässig sein. Hecken und Maschendrahtzäune bleiben erlaubt, Sichtschutzzäune, Kunststoffplanen, Kunststoffflechtzäune oder ähnliche Vorkehrungen, die den Luftstrom verhindern oder die Bewegungsmöglichkeiten von Tieren einschränken, hingegen nicht.
Kompensationsregeln erleichtern die Anwendung
Diese Regelungen sind in neueren Bebauungsplänen bereits häufig gute Praxis, mit der Freiraumsatzung gelten sie nun auch für Frankfurter Bestandsquartiere. Die Satzung sieht zugleich Kompensationsregelungen vor, sollte einzelnen Vorgaben aus statischen oder anderen Gründen nicht entsprochen werden können. Ist etwa das Dach nicht begrünbar, dürfen ersatzweise Laubbäume gepflanzt oder mit Sträuchern bepflanzte Flächen nachgewiesen werden. Ähnliche Ausgleichsregelungen gelten für Fassaden. Außerdem entfällt bei einer rein energetischen Sanierung die Pflicht zur Fassadenbegrünung.
Die Freiraumsatzung gilt für Neubauten und aus Gründen des Bestandsschutzes nur für bestehende Grundstücke und Gebäude(teile), die Veränderungen erfahren: also Umbauten, Dachausbauten, Nachverdichtungen im Bestand, Maßnahmen an unterbauten und nicht unterbauten Freiflächen sowie die äußere Gestaltung von Gebäuden. Sie betrifft öffentliche und private Vorhaben. Hierbei kommt es nicht auf die Genehmigungspflicht nach der HBO an.
Qualifizierter Freiflächenplan
Zum Vollzug der Satzung ist ein qualifizierter Freiflächenplan vorzulegen, der bei genehmigungsfreien Vorhaben nur nach Aufforderung vorzuzeigen ist. Die Bauberatung unterstützt bei der Suche nach Lösungen. Sollte es dennoch zu Verstößen kommen, drohen Geldbußen bis zu 15.000 €.
Sensibilisierung der Bürgerschaft erforderlich
Die Freiraumsatzung wird durch eine umfassende Broschüre zur Information der Bürgerschaft begleitet. Auf 70 Seiten präsentiert dieses Dokument das neue Regelwerk, durch Beispielbilder und einfache Schemaskizzen anschaulich visualisiert. In einer verständlichen Sprache werden die Vorteile klimawirksamer Maßnahmen erläutert, die Bestimmungen im Einzelnen dargestellt und unterschiedliche Fallkonstellationen beschrieben. Anschließend werden ausführliche Umsetzungshinweise für die Begrünung, Verschattung, Entsiegelung von Freiflächen, Fassaden und Dächern gegeben. Und schließlich endet die Broschüre mit einer Liste empfohlener, stadtklimaverträglicher Bäume, Sträucher und Pflanzen, sie verweist auf weiterführende Literatur und informiert über Fördermöglichkeiten.
Ein Schritt zu mehr Lebensqualität in den Quartieren
Die Klimafunktionskarte der Stadt Frankfurt am Main zeigt die deutliche Überwärmung der mit Gebäuden aus der Gründerzeit und den 50er sowie 60er Jahren dicht bebauten Stadtteile Innenstadt, Bockenheim, Nordend und Sachsenhausen. Hier insbesondere setzt die neue Satzung an, indem sie für die Lebensqualität und Gesundheit der Menschen ebenso wie für das Klima und die Artenvielfalt einen wichtigen Beitrag leistet. Sie kann dies aber nur tun, wenn sie mit wirksamen Instrumenten ausgestattet und möglichst anwendungsorientiert formuliert ist. In diesem Sinne stellt die Frankfurter Freiraumsatzung den Versuch dar, auf der Basis eines intensiven ämterübergreifenden Dialogs klare und verbindliche Regeln für die Gestaltung eine klimagerechteren Stadt zu vereinbaren, die Modellcharakter auch für andere Kommunen haben.
Die Autoren:
Marcus Gwechenberger
Prof. Dr., Stadtplaner, Professor für Urbane Transformation an der Frankfurt University of Applied Sciences, Dezernent für Planen und Wohnen der Stadt Frankfurt am Main,
marcus.gwechenberger@stadt-frankfurt.de
Michael Peterek
Prof. Dr.-Ing., Stadtplaner und Architekt, Professor für Städtebau und Entwerfen an der Frankfurt University of Applied Sciences,
michael.peterek@fb1.fra-uas.de
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