Die Symbiose-Spezialisten
Zwei Freunde, zwei Standbeine und die Frage: Was ist Kunst und was ist Landschaftsarchitektur? Sowatorini aus Berlin und Bochum geben Einblicke in ihre Arbeits- und Sichtweise.
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„Landschaft weist keine Rollen zu, sie soll interpretiert werden.“
Sebastian Sowa
Der Landschaftsarchitekt und Künstler Sebastian Sowa hegt eine Befürchtung. Er beobachtet die gestiegenen, zumeist technischen Herausforderungen an die eigene Profession durch die Klimaveränderung und glaubt, dass die Branche womöglich zu eindimensional werde: „Die Reaktion und Gestaltung des klimatischen Wandels ist nur eines von ganz vielen Themen. Aber es geht immer noch um die Suche nach poetischen, kräftigen Ideen, das rückt zu sehr in den Hintergrund.“ Gemeinsam mit seinem Freund Gianluca Torini tritt er sie seit über zehn Jahren an, um entsprechende Impulse zu setzen. Sie nahmen parallel zu ihrem Studium bereits an Wettbewerben teil und gründeten 2016 offiziell „Sowatorini Landschaft“. Sowa absolvierte zusätzlich die Folkwang Akademie der Künste und sagt: „Luca hat Kunst ja quasi mitstudiert so eng wie wir uns stets abgestimmt haben“.
Kunst und Landschaftsarchitektur im Portfolio
Temporäre Kunstinstallationen wie der „Durchgang“ in Heiligenhafen aus Kiefernholzrahmen als Beitrag zur „Outdoor Art 2014“ oder „Mirrors of Landscape“ in Venedig, prägen ihr Portfolio gleichermaßen wie „klassische“ Landschaftsarchitektur. Begonnen haben sie mit Kunstprojekten, weil dort die ausgelobten Wettbewerbe frei zugänglich waren, während man in der Landschaftsarchitektur Referenzen und Kammereintrag benötigte. Kunst ist für Sowatorini immer eine Möglichkeit, in und mit der Landschaft zu arbeiten, eine Grenze zwischen Kunst und Architektur nahmen sie nie wahr: „Solche Kategorisierungen interessieren uns nicht“, sagt Sowa.
Per definitionem seien einige ihrer Arbeiten Kunst, jedoch gehe es ihnen immer um den Ort und die Erschließung dessen, wie sie es im Landschaftsarchitekturstudium gelernt hätten. Am Anfang und über allem stünden also immer die Fragen: „Was ist dieser Raum, was braucht der Ort?“ Das klären sie nach eingehendem Einfühlen in die Örtlichkeit immer gemeinsam. Danach geht es ran ans Material und das ist bei ihnen wirklich wörtlich gemeint: Sie bauen ihre Installationen in der Regel selbst, haben angrenzend an ihr Atelier in Bochum eine Werkstatt.
Künstlerische Provokation
So bauten sie auch das „Paradoxon“ komplett selbst. Ein Wettbewerbsbeitrag zum 30. „festival international des jardin“ in Chaumont-sur-Loire mit dem Thema „Der ideale Garten“. Sie waren sich schnell einig, dass es den perfekten Garten ohnehin nicht gebe, setzten sich über die Ausschreibungsregularien hinweg und überließen es der Fantasie der Besucher, wie der ideale Garten aussehen möge. Dazu bauten sie einen „Eingang“ zu ihrem abgetrennten Wettbewerbsareal mit vier goldenen Türen unterschiedlicher Höhen, die verschlossen blieben und lediglich einen Blick durch die Schlüssellöcher zuließen. „Liberté“, Freiheit, war dahinter in großen Lettern zu lesen. Denn mit der Freiheit jedes Einzelnen, sich hinter den Türen den idealen Garten vorzustellen, entstehen unzählige Versionen perfekter Gärten, glauben Sowatorini. Den tatsächlich hinter dem Schriftzug angelegte Garten konnte niemand betreten oder sehen, sondern durch die ausgeschnittenen Buchstaben nur schemenhaft erahnen. „Wir saßen am Eröffnungstag unerkannt auf einer Bank“, sagt Sowa und berichtet von einer überwältigen Mehrheit der Besucher, die sich begeistert gezeigt hätten.
Proaktive Vorstellung zu Beginn
Zu Beginn ihrer Selbständigkeit stellten die Jungunternehmer sich proaktiv bei der Stadt Bochum vor – und tatsächlich kam die Stadt ein paar Monate später auf sie zu und vergab einen Direktauftrag für einen temporären Spielplatz auf dem innerstädtischen Husemannplatz. Eine Übergangsnutzung für den Sommer 2020, ein Novum und geboren aus der Lage, dass die geplante Umgestaltung des Areals noch auf sich warten ließ. Sowatorini stellte der Stadt jedoch keinen Spielplatz vor, sondern Pläne für eine „Temporäre Landschaft“. „Tiefes allgemeines Luftholen im Raum“, erzählt Sowa aus dem Projektmeeting, und weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie sehr sich auch diese wohlüberlegte Provokation auszahlen sollte.
Experiment temporäre Landschaft
Angeschlossen habe sich ein langer, intensiver Abstimmungsprozess mit vielen, seiner Meinung nach auch berechtigten Bedenken von Seiten der Stadt. Durch präzise Einhaltung der DIN-Normen und verlässliche Zusammenarbeit mit der Stadt hätten sie letztlich alle Bedenken ausräumen können und das eingangs recht umstrittene Projekt gemeinsam auf den Weg gebracht. „Wir brauchen sehr gute Leute an der richten Stelle in der städtischen Verwaltung, wenn wir überhaupt etwas erreichen wollen“, sagt Sowa. Man könne von Nachbarländern wie den Niederlanden noch viel lernen, wo die Bereitschaft einfach mal Dinge auszuprobieren deutlich größer sei.
Das Experiment müsse dann jetzt aber auch klappen – habe die Stadt den Druck, der auf allen lastete, klar benannt, aber auch den nötigen Rückenwind gegeben. Und wie es klappte: Das „Brettspiel“ wurde vor Ort bestens angenommen und 2021 mit dem Landezine International Landscape (LILA) Award und dem Street scape award in der Kategorie "Urban public art" sowie 2023 mit dem Deutschen Landschaftsarchitektur-Preis ausgezeichnet.
Umsetzung Brettspiel
Der Husemannplatz mit ursprünglicher Gestaltung aus dem Jahr 1984 benötige laut Sowatorini sowohl Chaos als auch Ordnung – und das mit Logik und System. Also ließen sie eine Art Bretter-Mikado auf das gepflasterte Areal niedergehen: etwa 90 Lärchenholz-Bretter mit blaugefärbten Kanten, in durchdachten Linienverbänden organisiert und mit Gewindestangen über Fußplatten im Boden verankert. Eine ganze, „entscheidende Nacht“ haben sie an einem Modell im Maßstab 1:20 gearbeitet, was mittlerweile eine Wand in der Bochumer Niederlassung ziert und dort wie ein Kunstwerk anmutet.
Sowa sei der „Modellverfechter“ im Team, sagt Torini, und ergänzt: „Ohne Modell hätte das Projekt so nicht funktioniert.“ Sie haben verschiedene Situationen ausprobiert und die Raumwirkung ergründet. Ein Chaos von überschneidenden Linien, was somit lesbar war und vor Ort erstaunlich schnell verstanden wurde. Am Ende stand ein einfacher, kraftvoller Entwurf, komplettiert durch drei quadratische Holzdecks als Sitzinseln – mit einem Minimum an Material umgesetzt, was das Budget mit 30.000 Euro inklusive Honorar klein hielt.
Multicodiert seien ihre Entwürfe, doch die multiple Nutzung habe sie selbst dann doch überrascht, sagen die beiden Gründer. Jugendliche Parcours-Künstler, spielende Kinder, sich sonnende Erwachsene, aber auch kleine spontane Konzerte. „Landschaft weist keine Rollen zu, sie soll interpretiert werden“, sagt Sowa.
Auszug aus FREIRAUM GESTALTEN 2/24. Den gesamten Beitrag samt ergänzender Freiraumwerkstatt lesen Sie im Magazin.
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