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Interview: Andrea Gebhard, Präsidentin BAK

Den Rückenwind nutzen

Andrea Gebhard ist Landschaftsarchitektin, Stadtplanerin und seit 2021 Präsidentin der Bundesarchitektenkammer. Sie erklärt, wie trotz hoher Energiepreise und Inflation die Themen nachhaltige Stadtentwicklung und Klimaanpassung im Fokus bleiben. 

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Andrea Gebhard, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer im Gespräch mit Thomas Jakob
Andrea Gebhard, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer im Gespräch mit Thomas JakobGuenther Appelt & Sonja Weber Germany Munich
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Vor Beginn des russischen Angriffskriegs waren die Auswirkungen der Klimaveränderungen und entsprechende Anpassungsstrategien sowie die Mobilitätswende zwei der wichtigsten Themen in der politischen und öffentlichen Diskussion. Landschaftsarchitekten und Landschaftsplaner waren mit ihrer Expertise gefragt, man diskutierte über den öffentlichen Raum und über Natur und Landschaft. Nun geht es nur noch um Energiesicherheit, Inflation und Abstiegsängste. Fallen „unsere“ Themen wieder hinten runter?

Andrea Gebhard: Auf den ersten Blick mag dies so wirken. Medial stehen Energiesicherheit und Inflation derzeit zweifellos im Vordergrund. Tatsächlich hat sich aber an der Relevanz von Klimaanpassungsstrategien und der Aufwertung des öffentlichen Raums nichts geändert. Im Gegenteil: Wir diskutieren überall, wie wir Energie sparen können. Bei der Argumentation kommen neben den Umweltaspekten nun auch die finanziellen Aspekte hinzu. Das haben übrigens auch viele Unternehmen erkannt und suchen von sich aus nach Einsparpotenzialen, ohne dass die Politik sie mit mehr oder weniger Druck dazu drängt. Manchmal habe ich sogar den Eindruck, dass zumindest Teile der Wirtschaft weiter sind als die Politik.

Und es hat sich auch nichts daran geändert, dass sich die Menschen ihre Innenstädte zurückerobern wollen. Das Zeitalter der autozentrierten Stadtentwicklung ist vorbei. Das heißt aber nicht, dass in zehn oder zwanzig Jahren keine Autos mehr in den Innenstädten fahren, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Autos mit Verbrennungsmotor oder E-Autos handelt. Unser Ziel sind verkehrsarme Innenstädte, ausgerichtet auf den Langsamverkehr und auf die Menschen, die dort wohnen und arbeiten.

Allerdings greift es zu kurz, in den Städten nur auf die Mobilität zu achten. Es geht auch darum, die Stadt fit zu machen für längere Trockenperioden, Hitzewellen und Starkniederschläge. Hierbei spielt das Grün eine enorm wichtige Rolle: also Bäume, Fassaden- und Dachbegrünung, aber auch Wassermanagement. Die meisten Städte haben diese Notwendigkeit erkannt und passen ihre Entwicklungskonzepte etwa in Form von Klimaanpassungsplänen entsprechend an. Die Expertise von Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten ist also gefragter denn je.

Und doch hat man den Eindruck, dass sich an dem alten Konflikt Wohnraum und Arbeitsplätze versus Erhalt von Freiflächen wenig geändert hat.

Andrea Gebhard: Als Konsens gilt: Wir müssen CO2 einsparen und Innenentwicklung geht vor Außenentwicklung. Dass es dabei zu konkurrierenden Nutzungen kommt, steht außer Frage. Es gibt hier kein Richtig oder Falsch, ebenso wenig wie pauschale Lösungen. Wir müssen ortsgebundene Lösungsansätze für jede einzelne Stadt, für jeden einzelnen Stadtteil entwickeln. Dabei ist die Eigenart der Städte in viel größerem Maß zu berücksichtigen, als dies bisher der Fall war. Die Verunsicherung nach dem nun einsetzenden Ausverkauf der Innenstädte und der Veränderung der Arbeitswelten, aber vermutlich auch ein extrem ausgebildeter Hedonismus im Anschluss an Corona und Inflation stellt uns als Planerinnen und Planer vor zahlreiche anspruchsvolle Fragen in einer hochkomplexen Planung. Nochmals: Wir als Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten haben so viel Rückenwind wie noch nie und das sollten wir nutzen. Für eine Klimaanpassungsstrategie und eine Biodiversitätsstrategie.

Zwischen der umwelt- und gesellschaftspolitischen Bedeutung von Landschaftsarchitektur und Landschaftsplanung und dem Stellenwert der Ausbildung an den Hochschulen klafft nach wie vor eine große Lücke. Woran liegt das?

Andrea Gebhard: Wir sind eine kleine Profession. Deshalb müssen wir Allianzen schmieden und Verbündete suchen. Innerhalb der Profession, aber auch außerhalb. Das machen andere Studiengänge auch. Wir müssen Mitstreiter suchen. In der Politik, in der Gesellschaft, in der Wirtschaft, in den Verbänden. Unsere Profession tendiert leider dazu, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen und zu leise zu agieren. Ich bin als Präsidentin der Bundesarchitektenkammer gerne bereit, gemeinsam mit den Hochschulen Strategien zu entwickeln, wie wir uns mehr Gehör bei der jeweiligen Hochschulleitung verschaffen können.

Sie meinen also, dass wir uns auch mal breitbeinig hinstellen müssen und gegen die Brust trommeln?

Andrea Gebhard: Ja, warum denn nicht? Wir haben doch etwas zu sagen. Das Wichtigste ist aber, dass wir einflussreiche Mitstreiter suchen. Und auch wenn der Begriff „Seilschaften“ negativ konnotiert ist: Nur mit einem Netzwerk kommen wir weiter. So funktioniert nun mal Politik. Wir brauchen Verbündete, gerne auch außerhalb der Profession oder aus einem anderen Kontext. Wir müssen uns fragen: Wer profitiert von unserer Arbeit? Da sind zum Beispiel die großen Rückversicherer. Sie springen etwa bei Flutschäden ein, die leicht in zwei- bis dreistellige Millionenbeträge gehen können. Wer, wenn nicht sie haben ein großes Interesse daran, dass möglichst wenig Schäden bei einem Hochwasser entstehen? 

Mit ausreichend Retentionsräumen und Schwammstädten lassen sich die Risiken reduzieren, aber natürlich auch durch angepasste Bebauungspläne. Das wissen auch die Versicherer. Für diese Planungsaufgaben sind Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten prädestiniert. Wenn wir also einen Rückversicherer auf unserer Seite wissen, dann hat dies durchaus Gewicht. 

Das Interview führte Thomas Jakob.
Lesen Sie das gesamte Interview in unserer nächsten Ausgabe FREIRAUM GESTALTEN 1/23.

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